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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ein junger Tenor namens Enrico Caruso für die Schar rotwangiger Debütantinnen und ihre Familien gesungen und ihr selbst die Welt offengestanden hatte, und fünfzehn Jahre – mindestens fünfzehn Jahre –, nachdem sie alle Hoffnung aufgegeben hatte. Junge Braut. Beinahe wäre sie errötet.
    »Ja«, sagte sie, beugte sich vor und nickte. »Ich bin Herbies Frau. Elizabeth. Oder Elise. Nennen Sie mich Elise.«
    Sie schwiegen kurz. Der Gestank des Viehs – es war, wie sie später erfuhr, am Vortag in Oxnard ausgeladen worden – stieg von dem leise schaukelnden Boot auf. Es waren natürlich Möwen da. Pelikane. Menschen auf der Pier, die irgendwelchen Tätigkeiten nachgingen.
    Er zog den Kopf ein, zupfte an der Hutkrempe und sah auf das Gepäck und dann auf die Leiter zum Boot. »Da haben Sie und Herbie Glück, dass das Boot heute hier ist, denn ohne den Sturm vorgestern wären wir schon wieder weggewesen. Und dann hätten Sie mit der Küstenwache fahren müssen.«
    Sie musste ihn verwirrt angesehen haben, denn er beeilte sich zu erklären: »Was natürlich völlig in Ordnung ist, nichts gegen die Küstenwache, nur dass die Jungs manchmal eben woandershin müssen, je nachdem, was das Funkgerät ihnen sagt, Befehle, Sie wissen schon, und dann kann’s sein, dass es vier, fünf Tage dauert, bis Sie da sind, wo Sie eigentlich hinwollten.«
    Sie lächelte. »Und was ist mit Ihnen?«
    Er erwiderte ihr Lächeln und griff an den Hut, als wollte er ihn noch einmal lüpfen, tat es dann aber doch nicht. »Mit mir? Keine Sorge – ich fahre nach Santa Rosa. Und wir stechen in See, sobald die Lebensmittel und Sie und Ihr, äh, Herbie, meine ich, an Bord sind.«
    »Santa Rosa? Welche ist das?«
    Er machte ein paar kleine Schritte um ihr aufgestapeltes Gepäck herum und zeigte über das Ende der Pier und den Kanal auf die von der Morgensonne beleuchtete streifige Flanke der großen Insel am Horizont. »Das da ist Santa Cruz. Und rechts davon, hinter dieser Landspitze – sieht fast so aus, als wär’s mit ihr verbunden, ist es aber nicht, glauben Sie mir –, das ist Santa Rosa, da wohnen die Vails und die Vickers. Und ich ebenfalls, jedenfalls in der ersten Woche, bis Sie sich ein bisschen eingewöhnt haben. Ich meine, von wegen Flitterwochen und so.«
    »Aber ich dachte ... Fahren wir denn nicht nach San Miguel?«
    Jetzt lachte er. »Aber ja. Keiner will Sie um Ihre Flitterwochen bringen – San Miguel ist die erste Station.« Wieder machte er ein paar kleine Schritte und zeigte nach rechts. »Sehen Sie das? Da draußen? Den kleinen braunen Streifen?«
    Sie kniff die Augen zusammen und starrte auf den schmalen, verschwimmenden Streifen des Horizonts im Westen, so weit, so fern, dass sie nicht sicher war, ob dort überhaupt etwas zu erkennen war. »Das ist es?« fragte sie und sah ihn an.
    »Das ist es, Ma’am«, sagte er. »Man kann’s von hier nicht immer sehen, aber Sie haben, wie gesagt, Glück. Doppelt Glück.«
    Wieder schwiegen sie. Beide starrten über das Meer dorthin, wo die Insel mit einemmal klar auszumachen war: Sie lag am Horizont wie ein sehr kleines Stück eines sehr alten Teppichs. »Tut mir leid«, sagte sie und wandte sich wieder zu ihm, »aber wie war Ihr Name noch mal?«
    »Jimmie, Ma’am. Ich bin Jimmie. Hat Herbie – ich meine, Mr. Lester – Ihnen nicht von mir erzählt?«
    Sie wollte sagen: Nein, hat er nicht , doch dann sah sie den Ausdruck in seinen Augen und besann sich. »Ja, doch«, sagte sie, »das hat er.«
    Das schien ihn zu befriedigen. Seine Züge glätteten sich. Er schob den Hut zurück und kratzte sich am Kopf. »Tja«, sagte er plötzlich, »aber was stehen wir hier herum und gaffen? Was wollen Sie von dem Zeug zuerst an Bord haben?«
    Die Vaquero war anders als alle Boote, auf denen sie je gewesen war. Das offene, mit einer hohen Reling versehene Deck war für den Transport von Tieren bestimmt und eignete sich nicht zum Promenieren, aber im Ruderhaus war es recht gemütlich, und die dort versammelten Männer – der Kapitän des Schiffs, ein paar Rancharbeiter auf dem Rückweg nach Santa Rosa, ihr neuer Freund Jimmie – waren bester Stimmung. Ihre Augen glänzten, und wie ein fernes Wetterleuchten flackerte über ihre Gesichter immer wieder ein Grinsen. Es war eine Frau an Bord, eine junge Braut, und sie drängten sich um sie, jeder versuchte, den anderen auszustechen, ihre Stimmen vermischten sich in einem nicht abreißenden Strom von Geschichten, Ratschlägen, Witzen und

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