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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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diesem Abend nicht. An diesem Abend saß er vor seinem Teller, kaute und starrte an ihr vorbei ins Leere. »Ich habe wahrscheinlich zuviel gekocht«, sagte sie. »Weil ich vergessen habe, dass Jimmie nicht da ist. Aber das Fleisch können wir ja morgen noch verwenden, meinst du nicht?«
    Jimmie war mit irgendeinem dringenden Auftrag am anderen Ende der Insel, und so waren sie allein, in jenem Zustand der Ruhe und des Friedens, den sie ersehnt hatte, seit er zurückgekehrt war. Nicht dass sie irgend etwas gegen Jimmie gehabt hätte. Er war ein Gefährte für Herbie, harmlos, ja eigentlich sogar liebenswert, eine unerschöpfliche Quelle von Informationen über alles und jedes, von den Eigenarten des Herdes über Pferdekrankheiten bis hin zur Bedeutung der gegenwärtigen Brise für das Wetter der kommenden Woche, und er fügte sich klaglos ein – es war nur so, dass sie noch nicht genug bekommen hatte von ihrem Mann. Jene erste Woche. Sie wollte sie noch einmal erleben. Und noch einmal.
    »Ja«, sagte er. »Können wir.«
    »Tut mir leid, das mit den Mäusen. Aber so was passiert eben, nicht?«
    »Ja.«
    »Du hast getan, was du konntest. Und es ist nett von dir, dass du das Kreuz für sie aufgestellt hast!«
    Er sah sie kurz an. »Ja«, sagte er.
    So ging es den ganzen nächsten und übernächsten Tag, sogar nachdem Jimmie wieder da war und für Unterhaltung bei Tisch sorgte, und wenn sie zu Bett gingen, spürte sie, dass er sich von ihr zurückzog. Am dritten Abend, nachdem er den ganzen Tag kaum ein Wort zu ihr gesagt, geschweige denn sie berührt oder ihr das kleinste Zeichen von Zuneigung oder auch nur Erkennen gegeben hatte, hielt sie es nicht mehr aus. »Was ist mit dir?« fragte sie, als sie sich zu ihm ins Bett legte. »Es hat nichts mit den Mäusen zu tun, stimmt’s?«
    Es war kalt im Zimmer, der Ofen wartete noch immer auf das Ofenrohr. Sie trug ein Nachthemd aus Flanell – das durchsichtige aus schwarzer Seide lag zusammengelegt in der Schublade, doch er schien den Unterschied gar nicht zu bemerken. Sie konnte ihren Atem als Wölkchen in der Luft hängen sehen.
    »Nein«, sagte er, »es hat nichts mit den Mäusen zu tun. Die waren bloß ... Ich weiß nicht, was es ist. Ich fühle mich so eingesperrt.«
    Sie nahm seine Hand. Plötzlich hatte sie Angst. Sie versuchte, in Französisch zu denken, denn er sprach mit einemmal in einer anderen Sprache. Eingesperrt? Wie war das möglich? Sie hatte sich noch nie im Leben so frei gefühlt. »Chéri« , flüsterte sie, »je t’aime. Je t’aime beaucoup.«
    Sein Blick ging durch sie hindurch und nahm sie erst nach einigen Sekunden wieder wahr. »Ich weiß auch nicht, was das ist. Es kommt einfach über mich. Es geht vorbei. Es geht immer vorbei.«
    »Du bist nur niedergedrückt«, sagte sie. »Du bist niedergedrückt, das ist alles.«
    »Ja«, sagte er und nickte. Sein Kinn bewegte sich auf und ab, als gehörte es nicht zu ihm. »Ich bin nur niedergedrückt.«

BOB BROOKS
    Die Scherer kamen am Ende des Monats und waren wie eine Naturgewalt, ein menschlicher Wirbelsturm aus Lärm, Bedürfnissen und Durcheinander, der in keinem Verhältnis zu ihrer Zahl stand. Sie brachten einen Hund mit, der ununterbrochen bellte. Die Schafe wurden über den Hof getrieben. Überall war Staub. Sie waren zu viert und blieben eine Woche, nur eine Woche, weil die Herde inzwischen so geschrumpft war (zwölfhundert Stück, wie Herbie sagte, ein Viertel der früheren Größe), doch diese Woche erschien ihr wie ein ganzer Monat. Sie stand am Herd, in dem das Feuer nie ausging. Sie pumpte Wasser, bis ihr rechter Arm eisenhart war. Hackte Brennholz. Spülte Geschirr.
    Herbie war den ganzen Tag draußen und schwitzte und fluchte mit den anderen, und sie bekam ihn bis zum Abend, wenn er sich erschöpft ins Bett fallen ließ, kaum zu sehen, aber das war in Ordnung, sagte sie sich immer wieder, es war ja nur für eine Woche, und Bob Brooks verdiente damit Geld – ohne die Schur hätten Herbie und sie gar nicht hiersein können. Die Wolle stapelte sich, während sie Bohnen einweichte und Reis kochte und Lammfleisch in allen erdenklichen Variationen zubereitete. Die Scherer schliefen in den Zimmern am Ende des Hauses und aßen für zwanzig. Abends spielten sie Karten, tranken Rotwein aus Fünfliterkrügen und sangen mit hohen, heiseren Stimmen und in einem hüpfenden Singsangrhythmus. Einer von ihnen spielte Gitarre.
    Und dann war dieser Sturm, so rasch, wie er gekommen war, wieder vorüber. Bis

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