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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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dem Boden, die Ellbogen auf die Stufe hinter sich gestützt, die Füße im Dreck. Seine Armeestiefel waren abgetragen, und seine sonnengebräunten Beine waren gefleckt von den hellen Narben, die Granatsplitter nicht nur dort, sondern auch an der Seite des Oberkörpers hinterlassen hatten. Sie und Bob Brooks saßen rechts und links von ihm auf den einzigen guten Liegestühlen, die sie besaßen, glänzend lackierten Liegestühlen aus Teakholz, die nach dem Untergang der S.S. Harvard angespült worden waren. Das war einer der Vorteile, wenn man auf einer Insel wohnte, die unmittelbar an einer Schiffahrtsstraße lag: Die Möbel kamen von selbst. Sie hatten auch den Safe der S.S. Cuba , die 1923 hier gesunken war – er war ein fester Bestandteil des Wohnzimmers und ihr mittlerweile so vertraut wie ihre Bücher und Bilder und das Sofa, das Herbie aus etwas verfertigt hatte, was wie ein Sarg aussah und (leer, wie er ihr versicherte) eines Morgens angeschwemmt worden war. Wie man es, mit oder ohne Schlitten, geschafft hatte, den Safe vom Strand den Hügel hinaufzubringen, war ihr allerdings ein Rätsel. Er wog bestimmt fünfhundert Pfund.
    Bob Brooks zuckte nur die Schultern. Er sah ebensogut aus wie Herbie, hatte ebenfalls ein Jungengesicht und volles Haar, das jedoch noch nicht ergraut war, obwohl er genauso alt war wie Herbie, nämlich zweiundvierzig – ein Alter, das man einem Mann normalerweise ansah. »Ich habe meine Geheimnisse«, sagte er.
    »Du gehst doch wohl nicht unter die Schnapsschmuggler, oder?«
    »Nein, aber Whiskeyschmuggler, das wäre doch mal was. Ich würde das hier« – er hob sein Glas ins Sonnenlicht und betrachtete es – »nicht gegen einen Rum eintauschen. Nicht gegen allen Rum der Welt.«
    Sie schwiegen und nippten an ihren Gläsern. Eine Lerche landete auf dem Hof und untersuchte eine Stelle am Fuß des Zauns. Dort, wo die Sonne auf die nackte Erde schien, waberte die Luft.
    »Wie war die Verhandlung?« fragte Herbie, kniff die Augen gegen das grelle Licht zusammen und verdrehte den Hals, um die beiden über seine Schultern hinweg anzusehen. Das Haar stand von seinem Kopf ab und leuchtete wie ein von der Sonne erzeugter Heiligenschein. Seine Augen waren nie dunkler und blauer gewesen. »Wie ist das gelaufen? Die werden dich doch nicht ins Gefängnis stecken?«
    »Nun mal halblang – ich war ja bloß als Zeuge da. Als Leumundszeuge.«
    »Ich mach ja nur Spaß.«
    »Es hätte schlimmer sein können. Der Anwalt hat erreicht, dass die Anklage auf Totschlag reduziert wurde, und dann waren die Männer in dem Boot ja tatsächlich Wilderer – zwei Japse und ein Portugiese, sie kamen von einem Walfänger –, und das haben die Geschworenen natürlich berücksichtigt.«
    Sie war glücklich. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, sie hörte die murmelnden Stimmen der Männer und sah die Wolken, die am Himmel stillstanden. Hier gab es keine Morde, keine Gerichte, keine Regeln und Formalien, die man einhalten musste. Bob Brooks tat ihr leid, auch wenn er Millionär war – oder der Sohn eines Millionärs, aber wer konnte nach dem Börsenkrach noch wissen, wieviel Geld einer besaß? Er hatte das Land auf San Miguel und San Nicolas von der Regierung gepachtet, er hatte Grundbesitz in Carpinteria und eine Wohnung und ein Büro in Los Angeles, und das bedeutete, dass sein Leben viel komplizierter war als ihres: Er musste vor Gericht erscheinen und geschäftliche Besprechungen abhalten und war ständig unterwegs von hier nach dort, während sie immer hier war, hier draußen, wo alles blieb, wie es war.
    »Ich hasse die Japse«, sagte Herbie. »Sie haben mich bestohlen, und das verzeihe ich ihnen nicht. War es einer von den Japanern, der erschossen worden ist?«
    »Nein, der Portugiese.«
    »Um so schlimmer. Wenn dein Mann alle drei erschossen hätte, hätten sie nur gekriegt, was sie verdient hatten. Ich sage dir: Wenn einer von denen hier draußen irgendwas probiert, dann hab ich noch immer die Remington. Und die . 22 er, falls ich ihnen bloß einen Schreck einjagen oder ihnen den Hut vom Kopf schießen will.« Herbie trank sein Glas aus und erhob sich, um ihnen und sich selbst nachzuschenken, und sie musste die Hand über ihr Glas halten und sagen, sie wolle lieber später noch etwas trinken, denn schließlich müsse sie ja noch das Abendessen machen, nicht?
    »Okay«, sagte er und schenkte erst Brooks und dann sich selbst nach, »prima – dann bleibt mehr für uns, stimmt’s, Bob? Ach, warte nur, bis ich

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