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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Die Tage flossen ineinander, jeder dauerte ewig, jeder war wie die anderen. Herbie stürzte sich auf seine Projekte – er installierte am Küchenherd einen Boiler und verlegte über den Dachboden Wasserrohre zum Badezimmer, so dass sie baden konnten, ohne schwappende Eimer von einem Ende des Hauses zum anderen schleppen zu müssen; er baute im Wohnzimmer einen Kamin aus Lehmziegeln, die er aus dem alten Haus der Waters geholt hatte; er stellte ein Windrad auf, das Wasser aus der Quelle pumpte und die Handpumpe ersetzte – und Elise arbeitete an seiner Seite, schleppte Steine, mischte Mörtel, nahm Schaufel und Spitzhacke und verlegte die Sickergrube an eine andere Stelle, weit entfernt vom Haus und von der Quelle. Sie waren zu beschäftigt, um sich zu langweilen, doch es gab Abende, da hätte sie alles für ein Radio oder gar ein Grammophon gegeben – um Musik zu hören, irgend etwas, eine Polka, ein Konzert, Eddie Cantor oder Al Jolson, es spielte keine Rolle. Musik. Ihr fehlte eigentlich nichts außer Musik.
    Tatsache war, dass sie sich der Welt jenseits des Kanals zunehmend entrückt und entfremdet fühlten. Wenn sie eine Zeitung oder Zeitschrift lasen, die ihre Mutter ihnen geschickt hatte, kam es ihnen so vor, ginge es dort um einen anderen Planeten: Science-fiction in Collier’s oder der Saturday Evening Post . Die Wirtschaftskrise verschlimmerte sich, und ein Ende war nicht in Sicht, als wären Arbeitslosigkeit, Konkurse, hungernde Kinder und ganze Familien, die auf der Straße saßen, das Normalste von der Welt und alles, was davor gewesen war, all die Generationen von Farmern, Fabrikarbeitern und Ladenbesitzern, all die Spareinlagen – jede Woche einen Vierteldollar für die Zukunft – nichts als Illusion. Mussolini und seine Schwarzhemden marschierten durch Italien, Hitler und seine Braunhemden marschierten durch Deutschland, und als der Wahltag kam, stellten sie fest, dass die Vereinigten Staaten einen neuen Präsidenten bekommen würden, einen Sozialisten namens Roosevelt, gegen den sie und Herbie gestimmt hätten, wenn es hier irgendwo ein Wahllokal gegeben hätte. Als wäre das wichtig. Es war ja nicht wichtig. Wichtig waren nur sie drei und der Gang der Jahreszeiten und dass die Schafe ihre Lämmer bekamen.
    Dann kam ein Morgen, an dem Herbie nicht aufstehen konnte. Es war kurz nach ihrem dritten Weihnachtsfest, an einem dunklen Morgen Ende Dezember. Der Wind fegte über den Hof, und das Prasseln der Sandkörner an den Fensterscheiben war das einzige Geräusch auf der Welt. Sie war vor ihm auf den Beinen, fütterte Marianne und kochte Kaffee, und anfangs dachte sie sich nichts dabei. Gewöhnlich stand er als erster auf und rannte, getrieben von seiner unbändigen Energie, hierhin und dorthin, doch an diesem Morgen wachte Marianne früh auf, und Elise nahm sie mit in die Küche und ließ ihn schlafen. Als er nicht kam, auch nicht, nachdem sie Marianne mit Haferbrei gefüttert, sich einen Becher Kaffee eingeschenkt, die Pfanne eingefettet und den Pfannkuchenteig gerührt hatte, ging sie ins Schlafzimmer, wo er auf dem Rücken lag und an die Decke starrte. »Bring mir das Aspirin«, sagte er mit gepresster Stimme. »Das ganze Fläschchen.«
    »Bist du krank?«
    »Und Whiskey. Ist von dem Whiskey noch was da?«
    »Whiskey? Um diese Tageszeit?« Sie trat ans Bett und legte ihm die Hand auf die Stirn. »Du hast doch kein Fieber? Oder ist es der Rücken?«
    »Meine Seite. Ich kann nicht aufstehen.«
    Sie umsorgte ihn den ganzen Morgen und war beunruhigt, denn normalerweise war er nicht kleinzukriegen, nie einen Tag krank, nie untätig. Er war blass und wollte nichts essen. Sie gab ihm Fruchtsaft aus der Dose und fand im Werkzeugschuppen eine halbe Flasche Whiskey, die er dort versteckt hatte. Für den Rest des Tages nahm er abwechselnd Aspirin und Schlucke aus der Flasche, doch jedesmal, wenn er versuchte aufzustehen, war der Schmerz zuviel für ihn. Das Problem war – er erklärte es ihr, als sie ihm das Abendessen brachte, das unberührt kalt werden würde –, dass der Granatsplitter in seinem Körper wanderte und dass er jetzt auf etwas an seiner linken Seite, knapp unterhalb der Rippen, drückte und noch einmal in sein Fleisch schnitt.
    Sie stellte einen Stuhl neben das Bett und nahm Marianne auf den Schoß. »Du brauchst einen Arzt«, sagte sie. »Wir müssen dich so schnell wie möglich zu einem Arzt bringen.«
    »Nein«, sagte er, »das geht nicht. Ich kann dich nicht allein lassen.«
    »Ich

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