San Miguel: Roman (German Edition)
leibhaftigen Japaner vor sich, einen Besucher aus einem anderen Königreich. Oder Kaiserreich. Japan war doch ein Kaiserreich, oder? Auf Est-ce que vous êtes marié? erwiderte er: Non . Auf Vous aimez la vie de la mer? sagte er: Oui . Und dann, nach kurzem Nachdenken: Beaucoup .
Sie wollte ihn gerade fragen, ob er in Amerika schon einmal an Land gegangen sei, ob er Amerikaner kennengelernt habe und was er von ihnen halte und ob die Berichte über das Verhalten seines Landes (wie sollte sie es ausdrücken – das kriegerische, das aggressive Verhalten?) den Tatsachen entsprächen oder nur das übliche übertriebene Zeitungsgeschrei seien, als die Tür aufschwang und Herbie eintrat, das Gewehr über die Schulter gehängt, in der Hand den Rucksack, der mit irgend etwas – Treibholz oder Muscheln? – vollgestopft war. Sofort sprangen die drei Männer auf, so schnell, dass sie beinahe den niedrigen Tisch umwarfen, auf dem die Teekanne und der Teller standen. Sie umklammerten ihre Tassen, als wären es Schutzschilde.
Sie sah, wie sich verschiedene Gefühle rasch nacheinander auf seinem Gesicht abzeichneten, von Überraschung über Erschrecken und Unwillen bis zu einer Art gespielter Gleichgültigkeit. Wie es geschah, konnte sie nicht sagen, aber plötzlich lag eine ungeheure Spannung über dem Raum. »Herbie«, sagte sie und versuchte, ihrer Stimme einen fröhlichen Klang zu geben, »das sind unsere Gäste, Fischer aus Japan. Ihr Boot liegt in der Bucht. Sie« – und hier wies sie auf die drei, die sich gleichzeitig verbeugten; doch es war eine kleine Verbeugung, mehr ein Nicken, und sie ließen Herbie und sein Gewehr nicht aus den Augen – »statten uns einen kleinen Besuch ab, wir trinken gerade eine Tasse Tee. Der Kapitän« – eine weitere Geste, eine weitere Verbeugung – »spricht Französisch. Un peu .« Sie lächelte erst Herbie und dann den Mann in dem weißen Jackett an, doch keiner lächelte zurück.
Herbie stellte den Rucksack ab, nickte den Männern knapp zu und ging dann langsam durch den Raum, als mäße er ihn mit Schritten aus. Er nahm das Gewehr von der Schulter und hängte es mit geradezu chirurgischer Präzision an seinen Platz an der Wand. Keiner der Männer regte sich. Sie standen da, die Teetassen in den Händen, bis Herbie sich plötzlich umdrehte, die Arme verschränkte und sich an die Wand lehnte, so dass er von seinen neun in zwei parallelen Reihen aufgehängten Gewehren eingerahmt war, von der Tanegashima-Arkebuse bis zur Elefantenbüchse. Einer nach dem anderen beugte sich hinunter und stellte seine Teetasse ab.
Herbie sagte nicht »Hallo« oder »Willkommen«, er sagte nichts dergleichen, weder auf englisch noch auf französisch oder japanisch, ja nicht einmal in der Sprache allgemeiner Höflichkeit. Nein, er war grob, einfach nur grob, und das war ihr unangenehm. Er richtete seinen Blick auf den Kapitän und sagte: »Que voulez-vous ici, monsieur?«
Der Kapitän sah seine Männer, dann Elise und schließlich Herbie an. Sein Gesicht verriet keine Regung. »Rien« , sagte er schließlich, verbeugte sich abermals und wandte sich zur Tür, die noch immer weit offenstand, so dass man den Hof und das Tor sehen konnte. Im nächsten Augenblick – und Herbie verzog keine Miene, sondern stand reglos und mit verschränkten Armen an der Wand – gingen die Japaner unter Verbeugungen hinaus und murmelten dabei merci und noch etwas anderes in ihrer eigenen Sprache, das vielleicht »Danke« oder »Auf Wiedersehen« oder einfach nur »Entschuldigung« bedeutete.
Sie wollte nicht mit ihm streiten, aber sobald sie fort waren – oder vielmehr sobald Herbie wieder zurück war, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sie in ihr Dingi gestiegen und zu dem in der Bucht vor Anker liegenden Schiff gefahren waren –, stellte sie ihn zur Rede. »Ich kann nicht fassen, wie du diese Männer behandelt hast«, sagte sie.
Er stand in der Tür. Das Licht hinter ihm wirkte, als hätte es sich verfestigt und in Eis oder Stein verwandelt. »Was gibt’s zum Abendessen?« fragte er, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen. »Ich bin halb verhungert.«
»Warum warst du so grob zu ihnen? Das waren ganz normale, anständige Menschen – Fischer, weiter nichts. Du hättest sehen sollen, wie sie Marianne bestaunt haben.«
»Sie haben mich bestohlen. Das habe ich dir doch erzählt.«
»Wer hat dich bestohlen? Diese Männer, die gerade hier waren?«
Er zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht«, sagte er mit
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