San Miguel: Roman (German Edition)
– und hier ging sein Blick zu Edith –, »für jemanden gesattelt habe. Ich werde Mike reiten« – er wies mit dem Kinn auf das Pferd, das an ein paar armseligen, verwelkten Grasbüscheln schnupperte –, »und da Adolph hierbleiben und ein Auge auf alles haben wird, vor allem auf den Truthahn, stimmt’s, Ida?, wirst du wohl dieser Jemand sein, Edith.«
Edith sah ihn überrascht an und errötete vor Freude.
»Komm«, sagte er, »ich helfe dir hinauf.« Edith ging zu ihm, und er hielt ihr eine Hand hin, damit sie ihren Fuß daraufsetzen konnte, legte den Arm um ihre Schultern und hob sie hinauf in den Sattel. »Heute reitest du im Damensitz, damit du dich an Plum gewöhnst, aber du wirst sehen: Schon sehr bald kannst du im Herrensitz reiten.«
Dann stieg er auf das Pferd, unerhört beweglich für einen Mann seines Alters, hochaufgerichtet und eindrucksvoll, den Hut in die Stirn gezogen wie ein Cowboy aus einem Groschenroman. Marantha hatte ihn, wie ihr nun bewusst wurde, noch nie reiten sehen und hätte sich nicht träumen lassen, dass er das überhaupt konnte. Vielleicht gehörte es zu den Dingen, die er in der Armee gelernt hatte, vor ihrer Zeit. Vielleicht war es so. Es musste wohl so sein. Denn in den sieben Jahren ihrer Ehe war er, soviel sie wusste, immer nur mit dem zweirädrigen Wagen oder der Kabelstraßenbahn gefahren. »Sitzt du auch bequem, Minnie?« fragte er und benutzte seinen Kosenamen für sie, und dabei beugte er sich zu ihr und zog an den Zügeln, so dass die Hufe des Pferdes einen kleinen, raschen Tanz aufführten und der Schlamm spritzte.
»Ja, alles in Ordnung«, sagte sie, obwohl ihr vor dem Rütteln und Schaukeln graute. Sie packte die Armlehnen des Schaukelstuhls, stemmte die Füße gegen den Boden und hielt ihren Hut fest.
»Gut«, sagte er und wendete das Pferd. »Und du, Jimmie, fährst schön langsam. Das ist kein Rennen.«
Der Junge sagte nichts. Er gab dem schwarzen Rücken des gleichmütigen Maultiers – General Meade – einen Klaps mit der Peitsche, und dann fuhren sie los. Der Hund rannte mit hohem, tremolierendem Gebell voraus, und Ida drehte sich besorgt zu Adolph um, der steif wie ein Zaunpfahl, mit hängenden Armen und ausdruckslosem Gesicht, auf dem Vorplatz zurückblieb. »Pass bloß auf, dass der Truthahn nicht austrocknet«, rief sie. Sie wollte noch etwas hinzufügen, irgendeine weitere Ermahnung, in der es ums Begießen ging, doch im selben Augenblick fuhr der Schlitten durch ein tiefes Schlagloch, und ihr blieb die Stimme weg.
Sie waren kaum zweihundert Meter gefahren, als die ersten Schafe auftauchten. Sie standen rechts und links in keilförmigen Ansammlungen und glotzten oder sprangen erst im letzten Augenblick aus dem Weg. Gelbe Augen und schwarze Pupillenschlitze. Von Dreck verkrustete Wolle. Schafe. Aus der Ferne mochten sie irgendwie romantisch wirken, wie ziellos dahintreibende Seelen, doch aus der Nähe waren sie alles andere als das. Der Geruch war jetzt stärker, die Ausdünstung einer zusammengedrängten Masse von Körpern, der Gestank von Schweiß, Urin und Kot. Marantha hörte nur ihr rauhes, hirnloses Blöken, das wie eine beständige Klage klang, und dahinter den undeutlichen, an- und abschwellenden Chor der Robben.
Will ritt voraus in Richtung auf eine Felsklippe, wo es anscheinend eine zweite Schlucht gab, die zu einem anderen Strand führte. Der Plan war, dort ein Picknick zu veranstalten, am Strand entlangzugehen und Muscheln zu sammeln, während Jimmie Abalonen von den Felsen pflücken würde, als Ergänzung zum Neujahrsessen aus Truthahn und Kartoffeln. Das war alles gut und schön, aber diese Fahrt auf dem Schlitten war entsetzlich. Marantha klammerte sich fest, während das Ding hin und her schaukelte, über große Steine rumpelte oder zischend durch lange, sandgefüllte Einschnitte fuhr. Ida schrie vor Vergnügen, und der Junge erhob sich von seinem Stuhl und trieb das Maultier an. Anfangs war sie um Edith besorgt und fürchtete, ihr Maultier könnte durchgehen oder sie abwerfen oder in ein Loch treten und stürzen und sie unter sich begraben, doch dann sah sie, dass Edith sicher – und aufmerksam – im Sattel saß und dass das Tier sanftmütig war und dahinzockelte wie eines der Ponys im Park, auf denen Edith als kleines Mädchen hatte reiten dürfen. Daran dachte sie, an die Zeit, als sie nur zu zweit gewesen waren, bevor Will in ihr Leben getreten war, und daran, wie vielfältig und erfüllt ihr Leben damals gewesen war – James
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