San Miguel: Roman (German Edition)
vorstellen.«
»Ich verstehe«, sagte sie, so verwirrt, dass sie kaum Worte fand. »Es tut mir leid, dass wir Ihnen so viele Umstände bereitet haben – «
»Das sollte es nicht. Ich bin nur froh, dass Gott uns hierhergeführt hat, damit wir helfen konnten. Und machen Sie sich keine Sorgen – Ihrem Mann wird es bald wieder bessergehen, besser denn je.« Er sah zu Jimmie, der die Kisten voller Lebensmittel auf der Düne am Ende des Strandes aufstapelte. »Und ich weiß ja, dass Sie in guten Händen sind.«
Sie dankte ihm noch einmal, und das Gefühl wallte so sehr in ihr auf, dass sie sich kurz abwenden musste. »Sie sind ein Engel«, sagte sie. »Und bitte kommen Sie wieder, alle beide, damit wir Ihnen ein gutes Abendessen vorsetzen und es Ihnen gemütlich machen können.«
»Das werden wir tun«, sagte er und ging zum Dingi.
Sie hob die Hand und winkte Margot zu, dann beugte sie sich hinunter, um Marianne aufzuheben und zu überlegen, was sie den Hügel hinauftragen könnte, bevor alles vom Regen davongeschwemmt wurde. Sie sah nicht, ob Margot zurückwinkte.
Wenn es seltsam war – oder unkonventionell, das war vielleicht das bessere Wort –, als verheiratete Frau mit einem Mann unter einem Dach zu leben, der nicht ihr Ehemann war, so versuchte sie, dem keine große Bedeutung beizumessen. Es war ja nur vorübergehend und unumgänglich, und Jimmie war ein Rancharbeiter – und außerdem alt, beinahe wie ein Großvater. Niemand, der zufällig vorbeikam – und das hier war nicht gerade der Times Square –, würde sich etwas dabei denken.
Sie entwickelten eine Arbeitsteilung, wie sie es mit Herbie getan hatte: Sie kümmerte sich um den Haushalt, und Jimmie sorgte für die Tiere, sammelte und hackte Feuerholz und wanderte ohne erkennbaren Zweck über die Hügel, denn er war ein Mann, und das war es, was Männer taten. Am Ende der Woche brachte die Hermes die Post, und darunter war ein weiterer Brief von Herbie: Die Operation sei erfolgreich gewesen, er werde sehr bald nach Hause kommen und ihr etwas mitbringen, eine Überraschung, und für Marianne ein Spielzeug. Sie las den Brief dreimal – es ging ihm gut, er war gesund und guten Mutes –, sie las ihn Marianne vor und sagte mit hoher Stimme: Dein Daddy kommt bald nach Hause! Dein Daddy! Das Wetter war ihr gleichgültig, wie ihr alles außer Herbie gleichgültig war, und trotzdem war es miserabel: Regen, Regen und noch mehr Regen. Die Woche schleppte sich dahin, und dann war sie vorbei, und immer noch kein Herbie. Ein weiterer Brief traf ein, überbracht von einem Fischer.
Dieser Brief, der dritte, traf sie völlig unvorbereitet. Es hatte Komplikationen gegeben – eine Infektion, die mit Sulfonamiden behandelt wurde –, aber es gab keinen Grund zur Sorge. Wäre es nach ihm gegangen, dann wäre er schon längst entlassen und zu Hause, aber er musste auf die Ärzte und Bob Brooks hören. Bob bestand darauf, dass er noch blieb, und sie wusste ja, wie Bob sein konnte, nicht? Er musste zugeben, dass er noch schwach war – und die Sulfonamide vermittelten ihm ein seltsames Gefühl, als wäre er eigentlich gar nicht da, als wäre er aus Papier, das man ganz leicht zerreißen könnte, und es schien auch seine Sehfähigkeit zu beeinträchtigen, so dass er nicht einmal lesen konnte, um sich die Zeit zu vertreiben –, aber dennoch sollte sie sich keine Sorgen machen, und es gab auch überhaupt keinen Grund, sich mit dem Baby auf den weiten Weg zu machen und ihn zu besuchen, besonders nicht bei diesem Wetter, denn er würde wieder zu Hause sein, bevor sie Gelegenheit gehabt hatte, ihn wirklich zu vermissen. Versprochen. Sie würde schon sehen. Der alte Herbie war noch nicht abgeschrieben.
So ging es dahin. Aus einer Woche wurden zwei, dann drei, dann ein Monat. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Jedesmal, wenn sie sich entschlossen hatte zu packen und ihn zu besuchen, ganz gleich, was die Konsequenzen sein mochten, kam ein weiterer Brief, in dem er schrieb, sie solle bleiben, er werde mit dem nächsten Boot kommen, und das Ganze werde nichts weiter sein als ein Schluckauf in ihrem gemeinsamen Leben. Sie betrachtete das Bett, die Bilder an der Wand, die Liegestühle von der S.S . Harvard , den Kamin, den sie gemeinsam gebaut hatten, und hatte das Gefühl, als sei sie diejenige, die aus Papier war.
Eines Abends war sie mit Jimmie in der Küche – er konnte gut mit der Kleinen umgehen und tanzte mit ihr durch den Raum, während sie selbst das Geschirr
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