San Miguel: Roman (German Edition)
Freude und Erfüllung. Ja. Absolut. Und jetzt waren sie zu viert, das entsprach einer Verdoppelung der Bevölkerung von San Miguel seit der letzten Volkszählung im Jahr 1930 .
Eines Sommermorgens war sie mit den Mädchen draußen und arbeitete in ihrem Blumengarten; es war purer Masochismus, denn wegen des schlechten Bodens, des unablässigen Windes und der Vögel, für die er anscheinend im Umkreis von Kilometern das einzige Fressbare darstellte, war das Unternehmen zum Scheitern verurteilt. Da wurde sie von einem rasselnden mechanischen Wimmern aufgeschreckt, das von überall her zu kommen schien. Verwirrt sah sie auf, und da war es: Ein Flugzeug kreiste über dem Haus. Vorn in der Maschine saß ein Mann, hinter ihm ein weiterer, und sie trugen Lederkappen und Brillen, deren Gläser im Licht der bleichen, milchigen Sonne, die sich durch den Dunst kämpfte, aufblitzten. Als wäre das noch nicht erstaunlich genug, wackelte das Ding mit den Flügeln, stürzte sich wie eine Nadel auf den Schafstall hinter dem Haus hinab, fing sich dicht über der Erde, flog einen weiteren Kreis und setzte zur Landung an. Sie sah zu, wie es über die Wiese holperte. Der Propeller war ein verschwommener Kreis, die Räder hüpften über die Unebenheiten, der Rumpf schwankte hin und her, als würde er in zwei Richtungen gleichzeitig gezerrt, und dann kam es zum Stehen, und die beiden Männer kletterten heraus wie Besucher von einem anderen Planeten.
Herbie war nirgends zu sehen – wie sich herausstellte, war er am Strand, wo er Treibholz gesammelt hatte, und rannte, ebenso verwundert und erschrocken wie sie, so schnell er konnte hinauf zum Haus –, und Jimmie war überhaupt nicht auf der Insel, sondern arbeitete auf Bobs Ranch in Carpinteria. Sie legte die Schaufel beiseite, mit der sie den Boden zwischen den verkümmerten Stengeln ihrer Geranien aufgelockert hatte, wischte sich die Hände an ihrem Kleid ab, nahm das Baby auf den Arm und Marianne an die Hand und ging über den Hof und durch das Tor, um sich dieses Wunderding aus der Nähe anzusehen.
Der größere der beiden Männer – ungefähr vierzig Jahre alt, fast einen Meter neunzig groß und hundert Kilo schwer – strich sich mit einer Hand das Haar zurück und hievte mit der anderen eine Tasche über die Schulter. Er trug Hemd und Krawatte, und die Brille hatte runde, gerötete Eindrücke rings um die Augen hinterlassen. Der andere war so groß wie Herbie und in den Dreißigern. Er trug eine Fliegerjacke aus Leder und gab sich alle Mühe, so gelangweilt auszusehen, als würde er täglich hier landen.
»Elise?« sagte der erste, trat einen Schritt vor und streckte ihr die Hand hin. Sie nahm Betsy auf den anderen Arm, schüttelte ihm die Hand und sah ihn verwundert an: Woher kannte er ihren Namen?
»Ja«, stotterte sie, »ich bin Elise, ich – «
»Ich bin George Hammond aus Montecito«, sagte er und wies mit einer unbestimmten Gebärde auf den Kanal hinter ihr. »Ich wohne am Bonnymede Drive. Meine Mutter ist eine Freundin von Mrs. Felton.«
Jetzt war sie vollends verwirrt. Vor zehn Minuten noch hatte sie sich in dem Wissen geborgen gefühlt, dass sie einer von nur vier Menschen auf einer der abgelegensten und abweisendsten Inseln Amerikas war, dass sie Teil eines Stamms, einer Familie, einer auf das Wesentliche reduzierten Gemeinschaft war, und nun stand sie vor einem, nein, zwei absolut fremden Männern – in einem uralten Pullover, mit schmutzigen Händen und zwei ölig dunklen Flecken auf ihrem Kleid, denn sie hatte in ihrem Garten auf der Erde gekniet, während neben ihr die Kinder gespielt hatten und über ihr ihre eigenen privaten Wolken vorübergezogen waren. Und dieser fremde Mann sprach mit ihr, als wären sie einander zufällig auf einem Wohltätigkeitsball oder einer Cocktailparty begegnet. Ihr fiel nichts anderes ein als: »Wer?«
»Mrs. Felton ist eine Freundin meiner Mutter.«
Sie tappte noch immer im dunkeln.
»Und zufällig auch eine Cousine Ihrer Mutter. Una? Una Felton? Sie hat, auf Anregung Ihrer Mutter, den Vorschlag gemacht, John und ich – das hier ist übrigens John Jeffries – könnten doch mal bei Ihnen vorbeischauen und hallo sagen. Und fragen, ob alles gut vorangeht und Sie irgend etwas brauchen oder ob John und ich Ihnen irgendwie behilflich sein könnten.«
Ihr fiel es wie Schuppen von den Augen. Una. Ihre Mutter. Diese Männer mit dem plattgedrückten Haar und den kreisrunden Abdrücken um die Augen waren niemand anders als zwei
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