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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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und Knarzen der vergessenen Welt dort draußen sich in die wohlklingende Stimme eines Ansagers verwandelte, die plötzlich so klar zu hören war, als stünde er in ihrem Wohnzimmer. Marianne erschrak zu Tode, starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den mit Stoff bespannten Lautsprecher und konnte nicht ganz glauben, dass darin nicht jemand versteckt war, während Herbie die Antenne plazierte und wie ein Zeremonienmeister die Feineinstellung vornahm. Sie machte Popcorn, und dann setzten sie sich an den neuen Wunderapparat und lauschten wie gebannt. Das Essen wurde kalt, und die Sonne ging ungesehen und unbewundert unter.
    Alles in allem hatte diese Neuerung ihre guten und schlechten Seiten. Einerseits freuten sie sich über die Konzerte und Fortsetzungsserien – Amos ’n’ Andy, Flash Gordon, Major Bowes’ Original Amateur Hour –, doch andererseits brachen jetzt unaufhörlich Nachrichten aus aller Welt über sie herein und infizierten sie wie eine neuartige Seuche. Ob es ihnen gefiel oder nicht, sie waren jetzt, beinahe gegen ihren Willen, ein Teil der Welt. Herbie machte sich Sorgen über Dinge, die auf der anderen Seite des Erdballs geschahen, über die Nachrichten, die immer schlecht, ausschließlich schlecht waren. Sie versuchte, die Stimme des Sprechers auszublenden, wenn ihre Hände sich mit der Strickarbeit beschäftigten und ihre Gedanken schweifen konnten, doch ihre Ohren ließen es nicht zu. Und dann das laute Putt-Putt-Putt des Generators, das die Stille zerriss, so dass sie nur ungern auf den Hof ging, wenn elektrischer Strom gebraucht wurde. Was glücklicherweise nicht sehr oft der Fall war, denn der Generator wurde mit Öl betrieben, und das kostete nicht nur Geld, das sie nicht hatten, sondern wurde auch in Zweihundertliterfässern geliefert, die von Buck und Nellie mühsam vom Strand hinaufgezogen werden mussten.
    Und dann war eines Tages in dem Postsäckchen aus Segeltuch, das George jetzt wöchentlich mitbrachte, der Brief eines Reporters, eines Richard Blakely von der Santa Barbara News-Press . Er sei, schrieb er, ein Freund der Hammonds und habe von den »wunderbaren Dingen« gehört, die sie dort draußen auf der Insel täten, Dinge, für die die Leser seiner Zeitung sich »gewiss interessierten«, und er wolle sich erkundigen, ob er sie wohl für einige Tage aufsuchen dürfe, um sie für einen Artikel zu interviewen, der dann in der Sonntagsausgabe erscheinen werde, die, wie sie zweifellos wüssten, die meistverkaufte Ausgabe der Woche sei. Herbie hatte den mit dem Namen der Zeitung bedruckten Umschlag mit dem Taschenmesser aufgeschnitten, den Brief entfaltet und ihn vorgelesen, während sie und George gemütlich am Küchentisch saßen und zuhörten. An der Art, wie er las und sich bemühte, den abgedroschenen Phrasen des Reporters Leben einzuhauchen, merkte sie, dass der Gedanke ihm gefiel. »Gute Nachrichten!« rief er und reichte ihr den Brief. »Genau das, was wir brauchen: ein bisschen Werbung. Was für ein Mensch ist er, George?«
    »Umtriebig. Sehr liebenswürdig.«
    »Netter Bursche?«
    »Ja, ein netter Bursche.«
    »Was meinst du, Elise? Du ziehst dir dein schönstes Kleid an und kochst ein Inselfestessen für die vierte Gewalt. Ich schlachte ein Lamm und lege die Hummerfallen aus. Und George bringt uns ein paar Eier extra mit – nicht, George? –, damit du einen von deinen Extra-Spezial-Deluxe-Schokoladenkuchen machen kannst und er eine Ahnung davon bekommt, wie dieses Inselleben so ist.«
    Sie schwieg für einen Augenblick. Herbie beugte sich vor, nahm den Brief wieder an sich und steckte ihn sorgsam in den Umschlag. George saß ihr gegenüber vor seinem Kaffeebecher und lächelte wohlwollend. Sie spürte die ersten Regungen von etwas, was sie nicht benennen konnte, einer Art abergläubischer Spannung, als wäre sie wieder ein kleines Mädchen und träte auf jede Ritze im Bürgersteig, um zu sehen, was das Schicksal für sie bereithielt. »Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich. »Ganz ehrlich – ich glaube, es ist keine so gute Idee.«
    »Keine gute Idee?« Er sah sie ungläubig an. »Wie meinst du das? Wir kommen in die Zeitung – wir werden berühmt.«
    Sie zuckte die Schultern. »Das meine ich ja gerade.« Sie sah George an. »Wir haben so viel Besuch, wie wir wollen – denk nur an die Leute vom Yachtclub, mit denen wir uns angefreundet haben und die beinahe jede Woche kommen, bei gutem Wetter jedenfalls. Wollen wir wirklich mehr? Fremde, die zu jeder Tageszeit

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