San Miguel: Roman (German Edition)
auf und verbreitete sie landesweit, so dass Elises Eltern und ihre zwei Brüder und zwei Schwestern sie in New York auf dem Frühstückstisch vorfanden. Ihre Mutter schrieb ihr umgehend, postwendend sozusagen, und der sonst so vorwurfsvolle Ton war mütterlichem Stolz gewichen (»Vielleicht hast Du ja doch die richtige Entscheidung getroffen, und ich war nur zu blind, es zu sehen«), und sie hörte von Leuten, die seit Jahren nicht geschrieben hatten, von entfernten Cousinen, flüchtigen Bekannten und der Frau, mit der sie sich die Wohnung in der zweiundsiebzigsten Straße Ost geteilt hatte und die ihr schrieb, sie wolle sie gern einmal besuchen. Es kamen noch mehr Reporter, und es erschienen noch mehr Artikel. Die Überschriften überboten sich gegenseitig – »Acht Jahre Einsamkeit«; »Das Königspaar auf der einsamen Insel«; »Kriegsveteran kehrt der Gesellschaft den Rücken und findet Frieden als König einer einsamen Insel« –, aber die Geschichten waren eigentlich immer die gleichen.
Trotzdem konnte man anscheinend nicht genug davon bekommen. Herbie war der Meinung, dass sie endlich bekamen, was ihnen zustand, denn sie waren ja tatsächlich etwas Besonderes, sie waren herausgehoben und gesalbt und standen weit über den gewöhnlichen Lohnsklaven drüben auf dem Festland, aber Elise sah das ganz anders. Für sie war der ganze Wirbel nichts weiter als eine billige Flucht: Die Menschen waren von der Wirtschaftskrise gebeutelt und fürchteten sich vor dem nahenden Krieg, sie wollten etwas Schönes sehen und ließen sich gern von dem Idyll ablenken, das die Zeitungen präsentierten, wobei der Schweiß und die Mühsal, das Improvisieren und Knausern natürlich unerwähnt blieben.
Es kamen Briefe (adressiert an George Hammond, Esquire, Bonnymede Drive), Briefe von Wildfremden, die ihnen Ratschläge geben, sie beglückwünschen, sie kritisieren oder bei ihnen einziehen wollten, und mit den Briefen kamen unerwünschte Geschenke. Reedereien schickten gerahmte Ölbilder von Schiffen auf hoher See, Zeitschriften bedachten sie mit Gratis-Abonnements. Sie erhielten Petroleumlampen, ein Butterfass, zwei Axtstiele, ein Erdnussbutterglas mit den verschiedensten Schrauben, selbstgestrickte Handschuhe, Pullover und Mützen, einen Flickenteppich und einen Jahresvorrat Kaugummi. Geduldig beantwortete sie – anfangs jedenfalls – jeden Brief, und sei er noch so eigenartig oder sentimental, und bedankte sich für die Geschenke, die sich im Schuppen in solcher Menge ansammelten, dass man ihn kaum noch betreten konnte. Und jedesmal, wenn es so aussah, als würde der Strom endlich versiegen, erschien ein neuer Artikel, und er schwoll wieder an.
In ihrer Radiosendung pries Kate Smith ihren Pioniergeist, und die Schauspielerin Jeanette MacDonald hörte es und schickte ihnen zum Zeichen ihrer Bewunderung und Verbundenheit einen cremefarbenen Welpen namens Pomo, den ersten von zahllosen Haustieren, die man ihnen per Schiff schickte oder persönlich abgab. Der Ganter – den sie Father Goose getauft hatten – hatte bald jede Menge Gesellschaft, darunter auch einen dressierten und sehr sprachbegabten Raben, den Ed Vail persönlich ihr überreichte, als er eines Nachmittags mit der Vaquero eintraf, sowie ein paar Katzen, die man ihnen unvernünftigerweise geschenkt oder einfach am Strand ausgesetzt hatte, obwohl Herbie sich das ausdrücklich verbeten hatte. Aber wenn das Boot die Bucht verlassen hatte, konnte man so ein kleines Kätzchen ja nicht mehr zurückgeben – dazu hätte man es erst einmal den Armen der Mädchen entwinden müssen –, und so gab es eben wieder Katzen auf der Insel, zum Kummer der Mäuse. (»Ich knall sie allesamt ab«, murmelte Herbie, doch dann trat Elise eines Abends ins Wohnzimmer, und da saß er auf dem Sofa, den weißen Perserkater schlafend auf dem Schoß, den die Mädchen Mr. Fluff getauft hatten. Danach erwähnte er die Mäuse nie wieder. Das hatte die angenehme Nebenwirkung, dass es in der Vorratskammer nachts, wenn Mr. Fluff seine Runde machte, zunehmend stiller wurde.)
Dann – und das war wohl der Höhe- und Kulminationspunkt dieses Wirbels, der sie mit sich riss, ob sie nun wollten oder nicht – schickte Life einen Reporter und zwei Fotografen, die zur Erbauung der Millionen Leser das tägliche Leben auf der Insel dokumentieren sollten. Die Fotos waren erstklassig, das musste sie zugeben: Herbie strahlte, und die Mädchen sahen aus wie Engel. Sie selbst allerdings fand, sie wirke auf den
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