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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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hereingeschneit kommen, die hier herumlaufen, als wären wir nur zu ihrer Unterhaltung da, und denen gegenüber wir natürlich gastfreundlich sein müssen. Oder diese jungen Burschen mit dem Motorboot, die nur so zum Spaß auf die Robben geschossen haben – wann war das, vor einem Monat? Willst du wirklich mehr davon?«
    Seine Miene war verwundert, gekränkt. »Nein«, sagte er mit Nachdruck, »nein, das siehst du ganz falsch. Werbung ist gut, das Beste, was uns passieren kann. Das bringt Geld ins Haus, Elise« – er wandte sich zu George und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander –, »und das war in letzter Zeit eher knapp. Denk an die fünfundzwanzig Dollar, die ich für den Vortrag im Adventurers’ Club gekriegt habe. Und ich habe meine Fühler nach dem Museum und den Colleges in Los Angeles ausgestreckt. Die Leute sind fasziniert von dem, was wir hier machen, Elise. Sie wünschen sich, sie könnten so leben wie wir, so frei wie wir, meine ich. Stimmt’s, George?«
    Richard Blakely kam eine Woche später. Er stieß die Tür der Cabin Waco auf und eilte über die verdorrten Stoppeln der Wiese, gefolgt von George, der das Postsäckchen und ein halbes Dutzend Pakete trug. Der Reporter war jung, jünger, als sie erwartet hatte – nicht viel älter als dreißig –, und er trug einen zweireihigen Anzug mit breiten Schulterpolstern und hatte sich so viel Pomade ins Haar gestrichen, dass es von weitem wie Neon schimmerte. Er war noch nicht am Haus angelangt, da begann er schon, ihnen Fragen zu stellen: Wie gefiel ihnen die Abgeschiedenheit? Langweilten sie sich manchmal? Was war mit Filmen – hatten sie nicht Lust, ins Kino zu gehen? Oder einen Einkaufsbummel zu machen? Er hatte gehört, dass sie jetzt ein Radio hatten – wie gefiel ihnen das? Amos ’n’ Andy? O ja, das war auch seine Lieblingssendung. Was war das für ein Geräusch? Robben? Das waren die Robben?
    Er war schmächtig und ließ die Schultern hängen, er hatte einen kleinen dandyhaften Schnurrbart und die Angewohnheit – oder war es ein Tic? –, mit dem rechten Auge zu zwinkern, wenn er eine Frage stellte, und während der nächsten drei Tage hörte er nicht damit auf. Sie wusste gar nicht, was sie antworten sollte – er war ihr ständig im Weg, außer als Herbie mit ihm herumging und ihm die Insel zeigte, ein Ausflug, von dem er weder vorher noch nachher sehr begeistert war –, aber dafür hatte Herbie um so mehr zu sagen, und die beiden redeten vom Frühstück bis spät in die Nacht, bis sie sich schließlich entschuldigte und zu Bett ging und ihr der Kopf schwirrte von Richard Blakelys Fragen: Wirklich? Nur zwölfhundert Schafe? Weil die Insel früher überweidet worden ist? Und das ist wohl auch der Grund, warum es hier so viel Sand und Dünen gibt, oder? Wie ist das mit den Sandstürmen? Was für ein Gefühl ist das?
    Der Artikel, den George ihnen noch an dem Sonntag brachte, an dem er erschien, trug die Überschrift: »Die glückliche Familie in ihrem Königreich«. Darin wurde sie als »die Königin von San Miguel« beschrieben, »gekleidet in einen Baumwollrock und einen weißen Pullover aus der selbstgesponnenen Wolle ebenjener Schafe, über die ihr Mann auf den einsamen, menschenleeren Weiden dieser nebelverhangenen Insel weit draußen im Ozean gewacht hat«. Herbie las es vor, freute sich über diese oder jene Wendung und war so stolz, als hätte er das alles selbst geschrieben. Auch den Mädchen las er es vor, obwohl die Kleine kaum etwas verstand und Marianne nur aufmerkte, als er an die Stelle kam, wo es hieß: »... und ihre hübschen kleinen Töchter, die Prinzessinnen dieses Königreichs, sind süß und unschuldig, liebliche Heldinnen in ihrer eigenen Märchenwelt.«
    George hatte vorsorglich drei Exemplare mitgebracht, von denen Herbie zwei in die Truhe mit den Erinnerungsstücken im Schlafzimmer legte, bevor er sich mit der Schere über das dritte hermachte. Er schnitt den ganzen Artikel aus, mitsamt dem unscharfen Foto, auf dem sie zu viert mit glasigem Blick und gezwungenem Lächeln am Tor standen, und befestigte ihn mit Reißnägeln an der Wand der Küche, gleich unter dem Kalender der Remington Company, auf dem ein energischer junger Mann in einem Flanellhemd zu sehen war, der seine Flinte putzte, während sein treuer Jagdhund sehnsüchtig zu ihm aufsah.
    Mit diesem Artikel öffneten sich die Schleusen, nicht nur an der Küste, sondern auch im ganzen Bundesstaat und darüber hinaus. Associated Press griff die Geschichte

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