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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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kommen –, und die Vaquero hatte Erlaubnis, die Inseln anzulaufen. Sie und Herbie hatten sich immer auf die Schur gefreut, trotz all der Unruhe und zusätzlichen Arbeit, die damit verbunden war. Sie brachte zweimal im Jahr wenigstens für ein, zwei Wochen so etwas wie Abwechslung in ihre kleine Welt und markierte nicht nur das Verstreichen der Zeit, wie es auch die Jahreszeiten, das große globale Schwappen von Ebbe und Flut, die Bahn des Mondes um die Erde und die der Erde um die Sonne taten, sondern bekräftigte auch den Sinn ihres Lebens auf San Miguel: Es war nötig, gewinnbringend und zweifellos richtig. Das war es doch, warum sie hier waren: um für sich selbst und Bob Brooks und Jimmie und die Scherer einen Lebensunterhalt zu verdienen. Und wenn sie sich diesmal mehr denn je darauf freute, beinahe als wäre es ein Urlaub, so sagte sie sich, sie freue sich für Herbie, aber das war nicht die ganze Wahrheit. Die ganze Wahrheit war, dass sie Hilfe brauchte, und zwar dringend.
    Anfangs warf Herbie sich mit dem ihm eigenen manischen Schwung in die Arbeit, scherzend und spöttelnd und lärmend, begeistert von sich und seinen alten Freunden, und flog so hoch, dass sie dachte, er werde nie mehr herunterkommen. Aber im Verlauf der ersten Woche spürte sie, wie sein Enthusiasmus ihn nach und nach verließ, wie die Waage seines Gemüts erst ins Gleichgewicht kam und sich dann weiter neigte, tiefer und tiefer. Er beklagte sich über den Staub: »Ich kann da draußen nicht die Hand vor den Augen sehen«, sagte er und stieß ein kurzes, bitteres Lachen aus. »Aber das ist ja auch eigentlich gar keine Hand.« Dann stellte er fest, dass er die Schafe mit einer unbrauchbaren Hand nicht mehr gut festhalten konnte. Und dann war er müde, erschöpft, nicht in Form. Sie sah, wie er sich neben Bob Brooks an den Tisch aus langen Planken setzte, den sie auf dem Hof aufgestellt hatten, damit alle einen Platz fanden. »Ich krieg das nicht hin, Bob«, sagte er. »Ich schätze, man kann nicht einen Monat im Krankenhaus liegen und dann rausgehen und Ringkämpfe mit Schafen veranstalten.« Am vierten Tag sah er nur noch zu. Am fünften ritt er auf Hans in die Hügel und kehrte allen den Rücken.
    Am Abend nahm Bob sie nach dem Essen beiseite. Herbie hatte nicht am Kopfende der Tafel gesessen, und man hatte so getan, als wäre alles in bester Ordnung, aber die ausgelassene Fiesta-Atmosphäre der ersten Abende war befangenem Schweigen und höflichen Bitten um das Salz oder die scharfe Sauce gewichen, und sobald die Teller abgeräumt waren, hatten sich Jimmie und die Scherer in ihre Zimmer und die einstweilen umquartierten Navyjungs in ihr Zelt in der Ecke des Hofs zurückgezogen.
    Brooks kam ins Wohnzimmer, wo sie vor dem leise gestellten Radio saß, nachdem sie die Mädchen zu Bett gebracht hatte. »Darf ich mich zu dir setzen?« fragte er.
    »Ja, bitte«, sagte sie und wies auf den Sessel, der dem Kamin am nächsten stand, Herbies Sessel.
    Er ließ sich schwer darauf sinken – auch er war erschöpft –, und der Hund kam zu ihm und legte ihm den Kopf auf den Schoß. »Ich wollte nur fragen, ob alles in Ordnung ist«, sagte er nach einem kurzen Schweigen.
    Sie sah auf. »Du meinst mit Herbie?«
    »Ja.«
    »Er muss sich noch schonen, wenn du das meinst.«
    »Mir hat er gesagt, er muss auf Patrouille gehen und nach Japsen Ausschau halten«, sagte Brooks.
    »Ja, das tut er oft. Er nimmt das sehr ernst.«
    »Aber das ist doch eigentlich die Aufgabe dieser Matrosen, oder? Besonders in diesen Zeiten, wo wir jeden Mann brauchen – «
    »Er traut es ihnen nicht zu. Er sagt, das sind nur Jungs.«
    »Na ja, als sie uns nach Frankreich geschickt haben, waren wir auch nur Jungs, und trotzdem sind wir heil zurückgekommen. Kann er sie nicht einfach ihren Job machen lassen?«
    »Du kennst doch Herbie.« Sie wartete auf eine Bestätigung, doch er sagte nichts. Er kraulte Pomos Ohren, rieb sie zwischen den Fingern, als prüfte er einen feinen Stoff. Sie wollte offen mit ihm sprechen, ihm erzählen, wie seltsam Herbie geworden war und dass sie sich Sorgen machte, dass sie kaum schlafen konnte, weil sie immer daran denken musste, und dass jeder Tag sich wie eine Faust um die Hoffnung, die sie hatte, zu schließen schien, aber sie hielt sich zurück. Er war der Boss, und er mochte zwar mitfühlend sein, erwartete aber auch, dass seine Investition eine Rendite abwarf und alles in Ordnung war – schließlich war das hier kein Pflegeheim, sondern eine

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