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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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konnte, die sie sich als Futter für die Pferde liefern lassen mussten. Die Luft war erfüllt von einem stumpfen, pflanzlichen Geruch, als wären alle Wiesen, die sie je gesehen hatte, unter dem schrägen Schindeldach eingefangen und konzentriert. Es war sehr still. Sie fand ihn in der hinteren Box: Er striegelte Hans und sprach leise mit ihm. Sie wäre am liebsten auf Zehenspitzen hinausgegangen und hätte ihn allein gelassen, aber es war schon spät, und sie musste das Abendessen auf den Tisch bringen, und so sagte sie leise, kaum hörbar, seinen Namen. Zuerst reagierte er nicht, und sie dachte schon, er habe sie nicht gehört, doch dann drehte er sich um, und während seine gesunde Hand über die Flanke des Pferdes fuhr, als striche sie eine Decke glatt, erschien auf seinem Gesicht ein Anflug seines alten Lächelns. »Schönes Tier«, sagte er.
    Am nächsten Morgen sattelte er Hans und machte einen Ausritt. Er war zum Mittagessen nicht wieder da, und erneut kam diese Angst über sie, doch sie sagte sich, es sei das Beste für ihn, er müsse eben hinausgehen und die Insel sehen und auch innerlich heimkehren. Es war beinahe schon dunkel, als er auf den Hof ritt. Sie hatte mit dem Essen auf ihn gewartet – seinem Lieblingsessen: Spaghetti mit Fleischklößchen aus gehacktem Lammfleisch und Semmelbröseln, mit geschlagenen Eiern zum Binden, einem guten Schuss Worcerstersauce und etwas Chili für die Schärfe –, und er trat in die Küche, legte schnuppernd den Kopf in den Nacken und sagte: »Genau das Richtige! Kein Wackelpudding mehr!« Er nahm sie in die Arme, und und ihr wurde ein kleines bisschen leichter ums Herz.
    Lange standen sie da und tanzten auf der Stelle. Herbie sang ihr leise ein Stück aus einem Radiosong vor, sein warmer Atem war an ihrem Ohr. »›So much at stake, and then I wake up‹«, sang er. »›It shouldn’t happen to a dream.‹« Sie spürte, wie er sich da unten, wo er hart war, an sie presste. Sie wiegte sich in seinen Armen, und Erleichterung durchströmte sie wie ein rasches erotisches Aufwallen. »Wie war es?«
    »Herrlich, könnte nicht besser sein. Was für ein Pferd! Aber wir wollen jetzt doch nicht um den alten Buck trauern, oder?« Er zog sie an sich, und zum erstenmal, seit er aus dem Flugzeug gestiegen war, küsste er sie.
    Die gute Stimmung hielt auch während des Essens an. Er scherzte mit den Mädchen, zog die Navyjungs auf (»Ich hab da draußen keinen einzigen Japs gesehen – ihr müsst sie wohl alle verjagt haben«), bestand darauf, jedem Erwachsenen ein halbes Wasserglas Whiskey einzuschenken, und brachte sogar einen Trinkspruch aus. »Auf San Miguel, die Pazifikfestung!« Aber dann, gerade als sie dachte, er habe seine Anomie, seine Niedergeschlagenheit oder die Nebenwirkungen der Medikamente oder was immer es auch war überwunden, hob er die behandschuhte Hand und sagte: »Wie wär’s mit einem kleinen Striptease? Wisst ihr, was ein Striptease ist? Nein? Dann passt mal auf.«
    Zentimeter für Zentimeter streifte er den Handschuh ab, ganz langsam, um die Spannung zu steigern, und schließlich zog er ihn mit einer schwungvollen Gebärde ganz aus und legte die verstümmelte Hand auf den Tisch. Es war ein Schock, etwas, was die Mädchen nicht sehen sollten, jedenfalls nicht so, indem er sie mit der Nase darauf stieß. Die beiden Finger waren dicht an den Knöcheln abgeschnitten, und die Haut über den Stümpfen war glänzend und rot, als wäre sie verbrüht. »Seht ihr, Mädchen?« sagte er und legte die andere Hand dazu und krümmte die Finger etwas. »Acht Finger. Und wie viele Beine hat eine Spinne? Weißt du es, Marianne?«
    Marianne sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
    »Na komm, das weißt du doch, oder?«
    Ganz leise: »Sechs?«
    »Nein«, sagte er, »nicht sechs, sondern acht. Siehst du« – er krümmte die Finger und schob die Hände vor, so dass sie über den Tisch krochen –, »ich bin jetzt eine Spinne. Magst du Spinnen?«
    »Das reicht jetzt, Herbie«, hörte sie sich sagen. Die beiden Mädchen waren blass. Die Navyjungs sahen zur Seite.
    »Ich bin eine Spinne«, wiederholte er. »Aber ich glaube, es wird noch ein bisschen dauern, bis ich Netze spinne, oder was meint ihr?«
    Eine Woche darauf kamen die Scherer und mit ihnen Bob Brooks und Jimmie. Nach der anfänglichen Panik hatte die Navy den Santa-Barbara-Kanal wieder freigegeben – es blieb ihr auch gar nichts anderes übrig, denn immerhin sollte die Kriegswirtschaft ja auf Touren

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