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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Köchin, alte und neue Freunde hatten sich eingefunden, um zu feiern, und wenn sie Herbie vermissten – und das taten sie natürlich, jeder von ihnen –, so versuchten sie, es sich nicht anmerken zu lassen und den leeren Stuhl und das unbenutzte Gedeck am Kopfende des Tischs zu ignorieren. »Er ist wahrscheinlich bis raus nach Point Bennett – muss jetzt jeden Moment dasein«, sagte Jimmie, als sie sich zu Tisch setzten, und damit war das Thema erst einmal erledigt. Dennoch sahen alle bei jedem Geräusch aus der Küche oder von draußen – Pomo, der sich kratzte, oder ein Rabe, der sich auf dem Dach niederließ – auf und erwarteten, Herbie eintreten zu sehen, in der Hand eine Whiskeyflasche und übersprudelnd von Geschichten.
    Dann gab es Kaffee, den Pudding und die Tarte Tatin mit Ananas, die sie für die Mädchen gebacken hatte und mit der sie eigentlich bis zu Herbies Rückkehr hatte warten wollen, und dann durften Marianne und Betsy ihre Geschenke auspacken. Es war halb neun. Es war fast ganz dunkel, und Nebel zog auf. Das Abendessen war vorbei, auf den Tellern lagen nur noch Krümel, und die Gäste lehnten sich zurück und zündeten Pfeifen und Zigarren an. Sie konnte die Mädchen nicht länger auf die Folter spannen, das wäre einfach nicht fair gewesen, und mit einemmal spürte sie Wut aufwallen. Was war los mit ihm? Er wusste doch, wieviel ihnen das hier bedeutete. Und außerdem würde er, ganz gleich, wie niedergedrückt er war – sofern das der Grund war –, ganz sicher nicht wollen, dass Bob Brooks es erfuhr oder Vermutungen darüber anstellte, wie niedergedrückt er wirklich war.
    Erst da – als sie aufstand, um die Kuchenteller abzuräumen, während Marianne ihre Schachfiguren betrachtete und Betsy mit ihren neuen Wasserfarben große blaue Flächen auf ein Blatt Papier malte – dachte sie an den Zettel. Der Gedanke brach aus dem Käfig aus, in den sie ihn während des Nachmittags und des Abendessens gesperrt hatte, er schoss auf sie zu und traf sie so hart, dass sie um ein Haar die Teller hätte fallen lassen. Sie sah den Ausdruck auf Herbies Gesicht, als er sich zu ihr gebeugt und sie geküsst hatte, die schweren Wangen, die tiefen Falten in den Augenwinkeln, die weißen Stoppelhärchen seiner Kotelleten. Sie hörte die Leblosigkeit in seiner Stimme. Nichts Wichtiges , hatte er gesagt. Bloß ein Zettel. Ich lass ihn im Haus.
    Niemand achtete auf sie, als sie die Teller abstellte und zum Schreibtisch ging. Die Unterhaltung war jetzt nicht mehr so lebhaft, die Männer waren satt, genossen ihre Pfeifen und Zigarren, befeuchteten die Kehlen mit Whiskey und sprachen über Männerthemen: Schafe, Krieg, Boote, Geld. Sie rang nach Luft. In ihrer Brust spürte sie einen neuen Rhythmus, ein warnendes, pulsierendes Hämmern, das nicht nachlassen wollte. Sie wühlte in den losen Papieren, schob das Buch beiseite, zog die Schubladen auf. Von weit entfernt hörte sie Bob Brooks’ Stimme, wie aus einer anderen Welt: »Elise, ist alles in Ordnung? Was suchst du denn? Elise?«
    Sie konnte nicht antworten, denn sie hatte keine Worte mehr. Sie fuhr herum und winkte ab, und dann kam ein anderer, dunklerer Gedanke aus einem dunkleren Winkel ihres Kopfs, schlimmer, weit schlimmer als der erste. Sie kniete nieder und stellte die Kombination des Safes der S.S. Cuba ein, dieses harten, unzerstörbaren Würfels aus verschweißtem Stahl, der sogar den Schlägen der Brandung getrotzt hatte, und es war ihr egal, dass die Unterhaltung verstummte und Bob Brooks sie ansah, denn dort, im obersten Fach des Safes, lag der Umschlag, auf den ihr Mann ihren Namen geschrieben hatte und der den ordentlich zusammengefalteten Zettel enthielt.
    Liebste Elise,
    Du findest mich auf dem Hügel bei Harris Point. Es tut mir leid, es tut mir unendlich leid, aber ich werde Euch nicht zur Last fallen, nein, auf keinen Fall. Ich kann nichts dazu sagen, außer dass alles so verdammt schwer ist. Die Luft. Die Luft erdrückt mich. Sie ist wie Blei, sie hat sich in Blei verwandelt.
    Mon âme est sortie de moi. Le roi est mort.
    Herbie

ABREISE
    Sie fanden ihn im ersten Licht des Morgens. Sie hatte im Dunkeln gehen wollen und mit den Männern gekämpft, mit allen, und Bob Brooks hatte sie schließlich festgehalten und an sich gedrückt, bis sie keine Luft mehr bekam, und dann bekam sie wieder Luft und schrie sie an, bis sie nur noch irgendwelche Gesichter waren, die sie ansahen, als wären sie Bilder in einem Museum, doch sie gaben nicht nach. In

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