Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
ihr Kleid – »in die Zivilisation. Die Zivilisation, Will.«
    Sie funkelte die drei wütend an, bis Adolph sich umdrehte und im Regen verschwand und Jimmie ihm folgte.
    Will sagte ihren Namen, einmal, ganz leise.
    »Sag nichts«, antwortete sie. »Sag nie mehr etwas zu mir.«

EDITHS GEBURTSTAG
    Vier Tage später war Ediths Geburtstag. Diesmal ließ Marantha Ida den Kuchen backen, bestand aber darauf, den Teig selbst anzurühren und in der Küche zu sitzen, bis der Kuchen saftig und perfekt gebräunt aus dem Ofen kam, denn ganz gleich, wie ihr Gesundheitszustand war – sie war immer noch Ediths Mutter. Und seit Edith aus dem Waisenhaus zu ihr gekommen war, dieses winzig kleine, hilflose, verletzliche Kind, dieses vollkommene, engelsgleiche Geschöpf, dessen leibliche Mutter es weggeworfen hatte wie ein Stück Abfall, hatte sie ihr zum Geburtstag einen Kuchen gebacken – und an Weihnachten ebenfalls. Einen Kuchen. Es war nur eine Kleinigkeit. Und an diesem Tag, an Ediths fünfzehntem Geburtstag – dem zwölften Februar, einem Datum, das sie am Tag ihrer Ankunft im Kalender mit einem Kreuz versehen hatte –, dem Tag, an dem es endlich aufhörte zu regnen und die Sonne hell und klar von einem wie blankgescheuerten Himmel schien, war sie schon beim Aufstehen erfüllt von wilder Entschlossenheit. Sie brauchte weder Kaffee noch Tee oder sonst etwas Anregendes, sondern nur die Kuchenform, den Teig und Edith.
    Eigentlich war es ein Wunder, wenn sie bedachte, wie schlecht es ihr in den vergangenen Tagen gegangen war. Ans Bett gefesselt, schwach, angeödet, hatte sie den fleckigen Betthimmel und die Vorhänge angestarrt, die sie umschlossen, sich völlig nutzlos gefühlt und sich vorgestellt, sie liege bereits im Grab, wo es feucht war, nass und übelriechend und die Erde erbarmungslos auf ihr lastete. Sie war fiebrig. Sie träumte intensiv, von Händen, die nach ihr griffen, und gespenstischen Gesichtern, die aus dem Nichts erschienen und ebenso schnell wieder verschwanden. Sie hatte Blut verloren, zuviel Blut, und obwohl der Blutsturz nicht annähernd so schlimm gewesen war wie der im Dezember – wofür sie dankbar war –, fühlte sie sich dennoch schwach und benommen.
    An jenem Abend hatte sie sich gezwungen hinunterzugehen – Ida zuliebe, um diesen Tag zu etwas Besonderem zu machen und den Schatten zu vertreiben, der sich über das Haus gelegt hatte –, und alles in allem hatte eine gute Stimmung geherrscht. Der Kuchen war natürlich eine Schande. Ida musste selbst einen neuen backen, während Marantha auf dem Bett lag und der Duft durch den Flur und die Treppe hinaufstieg, wie um ihre Unfähigkeit und Schwäche zu verhöhnen. Sie konnte auch nicht mit einstimmen, als alle, angeführt von Edith, »O Susanna« sangen und dabei »Anna« durch »Ida« ersetzten, und doch fühlte sie sich beglückt, dabeisein zu können – sie war gerührt, zutiefst gerührt –, und dachte unwillkürlich an das kommende Jahr und das danach und fragte sich, wer an ihre Stelle treten würde. Sie betrachtete Edith, deren Gesicht vor Freude leuchtete, während sie zusah, wie Ida ihr Geschenk auspackte – Bänder aus blauem Satin, die Edith noch auf dem Festland gekauft und die ganze Zeit versteckt hatte –, und begann, still zu weinen. Will wandte den Blick ab – sie war noch immer wütend auf ihn, auch wenn sie sich in diesem Augenblick so schwach und zerbrechlich fühlte, dass sie alles, alles von ihm akzeptiert hätte –, und als sie in der Nacht erwachte, lag er nicht neben ihr im Bett.
    Sie brauchte eine Weile und musste erst mit Streichholz und Lampe hantieren, bis ihr wieder einfiel, warum. »Ich will dich hier nicht haben«, hatte sie gesagt, als er zu Bett gehen wollte. Sie hatte ihn gehasst in diesem Moment, als er unbeholfen, schäbig, die verkörperte Ursache all ihrer Plagen, vor ihr stand und sein Gesicht wie eine aufgequollene bleiche Frucht in der dunklen Türöffnung hing. »Schlaf in der Vorratskammer«, hatte sie gesagt, »oder in der Baracke, das ist mir egal. Ich will dich hier nicht haben. Ich fühle mich schwach. Ich habe Schmerzen. Ich – « Doch er war bereits verschwunden und hatte leise die Tür geschlossen.
    Doch das war jetzt vorbei, vorüber, vergangen. Sie wollte nicht mehr daran denken, auch nicht daran, was es zu bedeuten hatte, dass er seitdem in der Klosterzelle gegenüber von Idas Zimmer schlief und dass es ihr vollkommen gleichgültig war, ob er in ihr Bett zurückkehrte oder nicht – nein,

Weitere Kostenlose Bücher