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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Jungen, der neben ihr im Matsch stand, zusammengesunken, mit hängenden Schultern und konzentriert verkniffenem Gesicht. »Er tut alles, was ich ihm sage. Stimmt’s, Caliban?«
    »Ja.«
    »Sprich lauter. Ich kann dich nicht hören.«
    Lauter jetzt: »Ja.«
    »Und wie heiße ich?«
    »Edith.«
    Sie schlug ihn so rasch ins Gesicht, dass er nicht einmal zuckte. »Wie heiße ich?«
    »Miranda.«
    »Schon besser. Jetzt nimm den Korb, trag ihn zur Vorderseite und leg die Muscheln auf der Veranda aus – und sieh zu, dass die schönsten vorn liegen.«
    Der Junge bückte sich wortlos, hob den Korb hoch – er war schwer, das konnte sie sehen – und stemmte ihn gegen die Hüfte. Dann setzte er sich mit langsamen, schmatzenden Schritten in Bewegung und verschwand um die Ecke des Hauses.
    »Siehst du, Mutter?« Ein leises, herrisches, grausames Lächeln, ein Lächeln voller Eigensinn und Überlegenheit. »Er tut alles, was ich ihm sage.«
    An jenem Abend servierte Ida als Geburtstagsessen einen Abalonen-Eintopf, der noch besser war als der am Neujahrstag, gefolgt von zwei gefüllten und gebratenen Hähnchen (eine besondere Delikatesse, denn die Schar war durch Füchse dezimiert, und Will behauptete, eine ihrer besten Legehennen sei vor seinen Augen von einem Adler geraubt worden), dazu Reis, Bohnen und ein Püree aus den letzten Rüben, die Charlie Curner im vergangenen Monat gebracht hatte. Marantha steckte die Kerzen an und trug den Kuchen herein. Edith in ihrem neuen Kleid, dessen Grün ganz genau das ihrer Augen war, beugte sich über den Tisch, um sich etwas zu wünschen und die Kerzen auszublasen. Alle applaudierten.
    »Ein Toast!« rief Will. Im Jackett und in seinem besten Hemd, das Haar frisch gewaschen und gekämmt, den Schnurrbart endlich einmal ordentlich gestutzt, saß er am Kopfende des Tisches, griff unter seinen Stuhl und holte eine Magnumflasche des Santa-Cruz-Inselweins hervor, dessen Loblied er ständig sang, als könnten auch sie einfach so, mit einem Fingerschnippen, eine Weinkellerei aus dem Boden stampfen, als wäre das eben nur eine weitere Verdienstquelle, die sie im Lauf der Zeit auf dieser Insel erschließen würden, obwohl Marantha eher glaubte, dass der Wind – und da war er wieder, ließ die Fensterscheiben klirren und heulte um die Giebel wie ein Geisterchor von Ertrunkenen – Rebstöcke, Spaliere und Trauben samt und sonders ins Meer wehen würde. Alle sahen zu, wie er schweigend den Korken herauszog, als handelte es sich um eine heikle Operation und als wäre er ein Zauberer mit Umhang und Zylinder, und unwillkürlich bemerkte sie den Blick, mit dem Jimmie Edith betrachtete. Aber wie hätte er ihr auch widerstehen sollen – wie hätte irgendein Junge, ob er sich nun einsam fühlte oder nicht, ihr widerstehen sollen? Er hätte schon blind sein müssen. Edith hatte nie schöner ausgesehen. Vielleicht, dachte Marantha – und in diesem Augenblick glitt der Korken mit einem vernehmlichen Seufzen aus dem Flaschenhals –, vielleicht war das Leben an der frischen Luft letztlich doch gesund.
    Will ging um den Tisch herum, füllte die Gläser, erst das ihre, dann das von Ida, Adolph und sogar von Jimmie, und kam schließlich an Ediths Platz. Sie wollte etwas sagen, wollte ihn hindern – es gehörte sich nicht, dass ein Mädchen in Ediths Alter berauschende Getränke zu sich nahm –, doch er schenkte ihr bereits ein. Edith war den ganzen Abend lebhaft und aufgekratzt gewesen, doch jetzt schwieg sie. Will schenkte ihr und dann sich selbst ein und erhob sein Glas. »Auf das hübscheste Mädchen auf dieser oder irgendeiner anderen Insel der Welt! Oder nein«, korrigierte er sich, »auf die hübscheste junge Frau!«
    Marantha sah, wie ihre Tochter nippte und den Mund verzog, bevor sie, kühner jetzt, einen neuen Anlauf nahm und einen großen, gierigen Schluck trank. »Du gehst nicht ohne Begleitung mit diesem Jungen irgendwohin«, hatte Marantha zu ihr gesagt, sobald Jimmie um die Ecke des Hauses verschwunden war. »Das schickt sich nicht.« Ihr Herz hatte wie wild geschlagen. Die Wärme der vor ein paar Augenblicken noch so willkommenen Sonne hatte sie getroffen wie ein Hammerschlag. »Glaubst du im Ernst, ich hätte irgendein Interesse an ihm?« hatte Edith gesagt und sie unverwandt angesehen. »Er ist bloß ein Junge, ein Kind, ein Schwächling. Und er ist dumm, so dumm wie das dümmste Schaf. Dümmer.« Und sie, was hatte sie gefühlt? Erleichterung natürlich. Doch sie hatte sich zügeln müssen,

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