San Miguel: Roman (German Edition)
machen. Was würde Mills denken, wenn er es in seinem gegenwärtigen Zustand sah? Oder der neue Mann? Darüber sollten sie mal nachdenken. Das eigentlich Bedauerliche aber war – und darauf ritt Will ständig herum –, dass sie nicht über die Mittel verfügten, um ihrerseits Mills’ Anteile zu übernehmen, so dass sie die alleinigen Besitzer und Inhaber wären und der Rest der Welt sich zum Teufel scheren könnte.
»Stell dir das vor, Minnie«, sagte er, »stell es dir nur mal vor: unsere eigene Insel, unser eigenes Land, und niemand, vor dem wir uns verantworten müssten. Wir könnten die Zugbrücke hochziehen und die Zinnen bemannen. Ich wäre der König. Und du, Minnie, wärst die Königin.«
Was sollte sie dazu sagen? Sie versuchte, entgegenkommend zu sein und ihn zu beschwichtigen, sie bemühte sich sogar, des Schmutzes im Haus Herr zu werden, doch das Bild, das er ihr entwarf, erfüllte sie mit Grauen. Die Welt, das war San Francisco, Boston, Santa Barbara, aber nicht diese Insel. Königin? Wessen Königin? Die Königin der Schafe?
Er legte den Arm um ihre Taille, zog sie an sich und küsste sie leicht auf die Wange. »Davon habe ich immer geträumt«, murmelte er.
Eines Abends, nach dem Essen, als sie in die Küche ging, um eine Kanne Tee aufzubrühen, sah sie, dass er in seinem Zimmer – der ehemaligen Vorratskammer – war und sich die Arbeitskleider anzog. »Willst du etwa noch mal raus?« fragte sie ungläubig.
Das Zimmer war nüchtern und voller Gerätschaften, aber, wie sie fand, auf eine militärisch wirkende Weise aufgeräumt. Es war wie ein Lager am Rand eines Schlachtfelds: Das Bett war kaum mehr als eine Koje mit einer einzigen, straff gespannten dünnen Decke, und seine Feldflasche, verschiedene Werkzeuge und Instrumente, das Stativ und der Teodolit waren an diversen Wandhaken aufgehängt. Er saß auf dem Bett und zog eine alte, fleckige Hose an, die sie schon unzählige Male geflickt hatte. Seine Strümpfe waren schmutzig, auch sein Hemd und selbst die Hosenträger. Er sagte nichts.
»Es ist stockdunkel draußen. Und es regnet.«
Er zuckte die Schultern. Und jetzt schnürte er die Stiefel, obwohl sie ihn immer wieder gebeten hatte, sie auf der Veranda an- und auszuziehen, damit kein Schmutz in das Haus getragen wurde, an dessen Sauberkeit ihm plötzlich so sehr gelegen war. »Es regnet doch immer.«
Sie schwieg einen Augenblick. »Es tut mir leid, dass wir das Geld nicht haben, Will«, sagte sie. »Ich weiß, wieviel diese Sache, dieser Ort dir bedeutet. Wenn ich das Geld hätte, würde ich es dir geben, das weißt du« – eigentlich hatte sie sich den Unmut nicht anmerken lassen wollen, denn er war ihr Mann, und sie liebte ihn, und er schlief in einem anderen Raum, weil sie zu schwach war, ihn zu ertragen –, »aber ich habe dir bereits alles gegeben, was ich habe.«
Das fensterlose Zimmer war nur von einer Kerze auf einer Untertasse erleuchtet, die er auf eine Kiste neben dem Bett gestellt hatte. »Du bist die reinste Märtyrerin.«
»Nicht, Will.«
Er zog den anderen Stiefel an, nahm sich aber die Zeit, den Kopf zu heben und ihr in die Augen zu sehen. »Willst du etwa alles verlieren? Willst du das? Einer muss doch die Arbeit machen, einer muss durchhalten. Ja, ich will diesen Ort. Ist das ein Verbrechen? Du hast keine Vorstellung, was ich im Krieg durchgemacht habe – und auch danach, als ich für meinen Bruder und dann die Idioten vom Morning Call die Druckmaschinen bedient habe. Eine schmutzige, niedrige Arbeit. Irgendeiner ist immer unzufrieden. Vom frühen Morgen bis zum Abend und wofür? Ich will etwas, was mir gehört, und wenn ich mich dafür totarbeiten muss.«
Sie stand noch immer in der Tür, die Hand an den Rahmen gelegt, als wäre sie eine Besucherin in ihrem eigenen Haus. Doch dies war nicht ihr Haus und würde es auch nie sein – es war ihr fremd, so karg und unerträglich wie diese ganze vom Wind gepeitschte Insel, die so viel Abwechslung bot, als läge sie mitten im Urwald des Amazonas. »Du hast mir versprochen, dass wir zum ersten Juni wieder fortgehen, wenn es ... wenn es mir nicht bessergeht. Und es geht mir nicht besser, Will. Es ist zu kalt hier. Zu feucht.« Sie spürte eine Trauer, so intensiv, als hätte eine Maschine, eine Höllenmaschine, sie gepackt und wäre im Begriff, den Lebensgeist aus ihr herauszupressen. »Zu trostlos, Will, hörst du: zu trostlos. Wenn ich sterbe, will ich von meinen Dingen umgeben sein. Ich will Gesellschaft, ich will
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