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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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als wäre er mit Farbe bespritzt worden. Oder mit Guano. Dies ist jetzt Ihr Zuhause . Ein schwacher Trost.
    Sie saß rechts von Will und hatte Nichols links von ihm plaziert, einen steifen, förmlichen, sechsunddreißigjährigen Junggesellen, der gekleidet war, als wollte er mit der Kabelstraßenbahn nach Nob Hill fahren, und zufällig über zehntausend Dollar verfügte, die er investieren konnte, wie Will behauptete und sie selbst inständig hoffte, so inständig, wie sie nur je etwas erhofft hatte. Edith, die ihr neues Kleid angezogen hatte und ihre Aufregung kaum bezähmen konnte – so viele neue Gesichter, und dann noch Nichols, ein Gentleman und dazu aus San Francisco –, saß neben ihr, und daneben war Idas Platz, wenn sie nicht gerade auftrug oder abräumte. Neben Ida saß Jimmie, gegenüber von Adolph und den sechs Scherern, dunkelhäutigen, wortkargen Männern mit unstetem Blick, die Indianer oder Mexikaner oder beides sein mussten und sich ans untere Ende des Tischs gesetzt hatten. Will hatte seinen besten Anzug an, und sie selbst trug das blaue Kleid, das ihm so gut gefiel, und hatte das Haar zu einem Chignon aufgesteckt. Auf dem Tisch stand eine Vase mit Wiesenblumen. Die Kerzen entzündete sie selbst.
    Das Essen – zwei mit Maisbrot gefüllte Truthähne, ein Topf Bohnen, Kartoffelbrei und ein Püree aus Winterkürbis, den Mills als Gastgeschenk mitgebracht hatte, dazu Mengen von Rotwein und Kaffee sowie Pudding als Dessert – war vielleicht nicht gerade das, was die Scherer gewöhnt waren, doch zusammen mit Jimmie machten sie sich über die Reste der Truthähne her, so dass nur ein paar reliquienartige Knöchelchen blieben, und wischten die Schüssel so gewissenhaft aus, dass Ida eigentlich kaum noch etwas zu spülen würde finden können. Sie sprachen während des ganzen Essens kein Wort. Von ihrem Tischende hörte man nur leises feuchtes Schmatzen und das Klirren von Metall auf Porzellan, und Marantha hatte zwar eine halbe Stunde über die Aufteilung des Bestecks nachgedacht, hätte sich diese Mühe aber sparen können: Kaum hatten sie sich gesetzt, da zogen die Scherer riesige Messer hervor, scharf wie Skalpelle, die sie zum Schneiden, als Gabel und als Vorlegelöffel benutzten.
    Sie sah sehr wohl die Ironie, die darin lag. Vor vier Monaten hatte sie die Kents und die Abbotts in ihre Wohnung in der Post Street eingeladen, und nun saß sie in diesem zugigen, nach Schafen stinkenden Ranchhaus und brach das Brot mit Männern, die aussahen, als hätten sie noch nie im Leben Bekanntschaft mit einem Stück Seife gemacht. Sie trank einen Schluck Wein und blickte sich missmutig um. Will redete. Mills redete ebenfalls. Jimmie murmelte Adolph etwas zu, der eine Antwort grunzte, und Edith versuchte, Mr. Nichols in ein Gespräch über Theater zu verwickeln, doch dieser sagte, er sei auf Reisen gewesen und könne sich an seinen letzten Theaterbesuch nicht mehr erinnern.
    Marantha erkundigte sich nach Mrs. Mills – nach Irene. Sie stellte sie sich in ihrem gemütlichen Haus in Santa Barbara vor, wo der Wind und die Wellen und die Mühsale der Schafzucht endlich vergessen waren, und fragte sich, ob sie es wohl wagen könnte, nach dem Datum zu fragen, das auf dem Kalender eingekreist war, doch Mills – Nennen Sie mich Hiram – sagte nur, es gehe ihr gut. »Fehlt es ihr, das hier, meine ich?« fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte. »O ja, natürlich«, sagte er und sah ihr treuherzig in die Augen, obwohl sie wusste und jeder merkte, dass er log. »Uns beiden fehlt es. Es war wirklich ein ... Privileg , hier draußen leben zu dürfen.«
    Man aß, man unterhielt sich über Nachrichten aus aller Welt und über Dinge, die für die Ranch von Belang waren, aber Mills beherrschte das Gespräch, und Mills war langweilig. Die Kerzen flackerten, der Ofen zischte und verbreitete einen leichten Geruch nach den Eisenholzwurzeln, die sie ausgegraben hatten, um sie zu verheizen. Die Bäume waren längst verschwunden, doch die harten Wurzeln, die so gut brannten, lagen wie vergrabene Schätze noch immer in der Erde. Nichols sagte nicht viel. Er antwortete, wenn man ihn ansprach, und machte hin und wieder eine Bemerkung darüber, wie zart das Fleisch und wie hübsch das Haus sei (»Wirklich sehr nett – viel gemütlicher, als ich erwartet hatte. Für ein Ranchhaus«). Seine betont aufrechte Haltung ließ auf einen militärischen Hintergrund oder aber ein Rückenleiden schließen, und sein Schnurrbart hatte

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