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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ihre Hände zu Hilfe. »Es kommt einem vor, als wären wir hier im Auge eines Wirbelsturms, oder nein, nicht im Auge. Wie nennt man das? Am Rand eines Wirbelsturms, am Rand.« Sie warf Will einen Blick zu, den Marantha kannte: eine Mischung aus Koketterie und Ironie, als wäre das alles nur ein großer Witz. Wollte sie seine Pläne hintertreiben? Ihn herausfordern? Das Geschäft platzen lassen? Ihr Vater hatte sie von der Schule genommen und ihr Leben auf den Kopf gestellt, und jetzt rächte sie sich, ging bis an die Grenze und darüber hinaus und setzte ihm mit Nadelstichen zu, wenn er am verwundbarsten war. Es war Boshaftigkeit, reine Gehässigkeit. »Edith«, hörte Marantha sich sagen, »möchtest du nicht noch etwas Pudding? Das ist doch dein Lieblings– «
    Edith ignorierte sie. »Mutter ist wegen der guten Luft hier, müssen Sie wissen, dabei hatten wir in der ganzen Zeit keine drei Tage Sonnenschein. Es ist feucht, Mr. Nichols, feucht und kalt und ungesund.«
    »Edith.«
    »Und der Wind.« Edith hatte ihr dramatisches Gesicht aufgesetzt und war sich bewusst, dass alle, auch die Scherer, sie ansahen. »Er ist so wild, so laut und ekelhaft« – sie hielt inne und sah wieder Will an, ihren Vater, nur ihn –, »und dann fühlt man sich so einsam, dass man am liebsten sterben würde.«
    Und dann war da die Frage, wer wo schlafen sollte. Mills bot an, zu Adolph, Jimmie und den Scherern in die Baracke zu gehen, doch Will protestierte – »Du lieber Himmel, nein, Hiram, du hast dieses Haus mit deinen eigenen Händen gebaut, du hast hier gearbeitet und deine Kinder großgezogen, da können wir dich doch nicht in der Baracke schlafen lassen wie einen Rancharbeiter« –, aber Mills schüttelte den Kopf, als wollte er beweisen, wie großmütig er war. »Wenn es gut genug ist für Jimmie« – und hier sah er zum Fußende des Tischs, wo der Junge noch immer auf einen Blick von Edith hoffte, obwohl der Pudding längst aufgegessen war und Adolph und die Scherer sich getrollt hatten –, »dann ist es auch gut genug für mich, stimmt’s, Jimmie? Und das ist jetzt dein Haus, Will, und ich will dich und deine Familie nicht stören.«
    »Das ist sehr großzügig von dir, aber du würdest uns überhaupt nicht stören, kein bisschen, meinst du nicht auch, Minnie?«
    Sie und Edith waren geblieben, froh über die Gesellschaft. Jeder hatte eine Tasse Kaffee vor sich, doch der war kalt geworden. Unterdessen hatte Nichols drei kubanische Zigarren hervorgezogen, und Will hatte die Flasche Brandy geholt, die er – im Gegensatz zum Whiskey – für eine besondere Gelegenheit aufbewahrt hatte.
    Alle sahen sie an. Was hatte Will gesagt? Egal. Sie schüttelte den Kopf und machte große Augen, als könnte nichts sie mehr erfreuen, als Fremde im Haus zu haben, und dann hielt sie sich das Taschentuch vor den Mund, hustete einmal und schluckte den Schleim hinunter. Sie war müde. Erschöpft. Bis zu diesem Augenblick hatte sie gar nicht gemerkt, wieviel ihr der Abend abverlangt hatte. »Wir dachten«, sagte sie und räusperte sich, »Mr. Nichols könnte in dem Extrazimmer hier unten schlafen, gegenüber dem von Ida. Ida schläft bei Edith, und dann könnten Sie, Mr. Mills, Hiram ...« Sie versuchte, es mit einem kleinen Lachen zu überspielen, aber das war riskant, denn ein Lachen, das kleinste Kitzeln in der Kehle, konnte einen Hustenanfall auslösen. »Das heißt« – sie holte rasch Luft –, »wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht, die Wanzen in der Baracke hungern zu lassen.«
    Was sie nicht erwähnte: Ihr Mann würde in diesem Fall im gemeinsamen Schlafzimmer – sofern man es noch so nennen konnte – schlafen, jedenfalls bis das Geschäft abgeschlossen und die Gäste abgereist waren.
    »Ich möchte Ihnen wirklich nicht zur Last fallen«, sagte Mills, der sich für den Gedanken zu erwärmen begann. Er kannte die Baracke besser als jeder andere, vielleicht mit Ausnahme von Jimmie.
    »Ich ebenfalls nicht.« Nichols hatte das Glas abgestellt und schenkte ihr sein schwaches Lächeln. Die goldene Einfassung des Eckzahns blitzte im Licht der Kerzen, deren tropfendes Wachs kleine Pfützen gebildet hatte.
    »Nein, nein«, sagte sie, und ihre Stimme war so rauh, dass es wie ein Knurren klang, »Sie fallen uns überhaupt nicht zur Last.«
    Doch natürlich taten sie das, wie ihr Mann feststellen musste, als alle anderen zu Bett gegangen waren und er die Treppe hinaufging. Sie lag, ein Kissen im Rücken, da und erwartete ihn: Sie las

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