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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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weiterlaufen. Er warf einen kurzen verzweifelten Blick auf Edith, die sich bereits der ersten Kehre näherte, und trottete dann widerwillig und mit hängenden Schultern zurück zur Veranda. Ida dagegen ging weiter, hatte den Vorplatz schon überquert und war jetzt am Weg. Sie rannte nicht, schritt aber so zügig aus, dass die Schürze flatterte, während Adolph, der in die Baracke gegangen war, offenbar um sich zu waschen, wieder herauskam, in den Händen ein schmutziges Handtuch.
    »Ida!« rief Will, und seine Stimme klang, als würde sie von einem dünnen Draht aus Spannung und Erregung eingeschnürt. »Du wirst in der Küche gebraucht. Also stell dich an den Herd und, ich weiß auch nicht, mach etwas. Irgendwas. Und Kaffee. Kannenweise Kaffee. Und Adolph«, rief er über den Vorplatz, »du kommst mit mir, sobald ich den Staub abgewaschen und mir ein frisches Hemd angezogen habe. Dann gehen wir runter und helfen ihnen beim Ausladen. Ich brauche nur fünf Minuten.«
    Marantha starrte wieder zur Bucht, auf das Segel und das sich nähernde Schiff, als fürchtete sie, das alles könnte wie eine optische Täuschung einfach im Nebel verschwunden sein. Doch das Schiff war immer noch da. Die Scherer waren gekommen. Sie hätte erleichtert sein sollen, doch sie dachte nur daran, was sie ihnen zum Abendessen vorsetzen sollte und ob sie alle Platz hätten, sie dachte an die gesprungenen Teller und den Schmutz und die Vorhänge, die auf dem Tisch lagen, anstatt sich an den Fenstern im Wind zu bauschen. Was würde Mills denken? Und Nichols?
    Und da war Jimmie, schmutzig und zerlumpt, und weil er sich das Haar nicht von ihr schneiden lassen wollte, hing es ihm in den Nacken, als wäre er irgendein wilder Ureinwohner. Er stand im Matsch vor der Veranda und sah mit trübseligem Gesicht zu Will auf. »Soll ich General Meade und den Schlitten fertigmachen, Captain?« fragte er.
    »Genau«, sagte Will lächelnd. Er war jetzt entspannt, alles lief nach Plan. »Guter Junge, kluger Junge. Weiß, worauf es ankommt.« Und dann griff er in die Hosentasche, zog eine Fünfcentmünze hervor und hielt sie hoch. »Siehst du das? Das gehört dir, wenn du mit dem Maulesel und dem Schlitten in zwanzig Minuten am Strand bist.«
    Der Junge sah ihn verständnislos an. »Was ist das?«
    »Was das ist? Das sind fünf Cent. Geld. Du weißt doch, was Geld ist, oder?«
    Der Schoner wiegte sich auf kleiner werdenden Wellen, die Matrosen holten die Segel ein, die Sonne beschien blass das Durcheinander der Rinnen und Pfützen auf dem Vorplatz und dem holprigen Weg. Jimmie schüttelte den Kopf. »Wir haben nicht viel Verwendung dafür«, sagte er, sah auf das Meer und dann, mit gegen die Sonne zusammengekniffenen Augen, hinauf zu Will. »Nicht hier draußen jedenfalls.«
    Abgesehen davon, dass sie die Schafe schoren, taten die Scherer hauptsächlich eines: essen. Sie waren nicht anspruchsvoll, sie erwarteten nichts Erlesenes oder auch nur Gerichte aus dem Rezeptbuch ihrer Mutter, das diese wiederum von ihrer Mutter geerbt hatte. Die schiere Menge war es, was zählte: Lamm, Hammel, gepökeltes Schweinefleisch, wenn möglich mit gebratenen Abalonen, Bohnen, Brot, Kartoffeln und die Maistortillas, die Ida rasch auf der heißen Herdplatte zu backen lernte und stapelweise auftrug, das alles übergossen mit einer Sauce aus ausgelassenem Lammfett, gehackten Zwiebeln, Dosentomaten, zerdrückten Chili und einer guten Handvoll aller verfügbarer Gewürze.
    Am ersten Abend saßen vierzehn Personen, darunter auch Mr. Mills und Mr. Nichols, an der Tafel, die mittels des Tischs aus Ediths Zimmer verlängert worden war. Alle verfügbaren Stühle wurden herbeigeschafft, und dennoch waren es zu wenige, so dass zwei der Scherer sich mit umgedrehten Eimern begnügen mussten. Sie wollte Mills am Kopfende plazieren – immerhin war er es gewesen, der dieses Haus gebaut hatte, und kaum war er eingetreten, da fühlte sie sich wie eine Unbefugte, ein Eindringling –, doch davon wollte er nichts hören. »Nein, nein, Mrs. Waters«, sagte er und breitete mit einer Geste, die den Salon, den trübe beleuchteten Flur und die noch trüber beleuchtete Küche einschloss, die Arme aus, »dies ist jetzt Ihr Zuhause.« Er war kleiner, als sie ihn in Erinnerung hatte, schwerer, mit einem Schmerbauch und einem Backenbart, der sein Gesicht in zwei Richtungen zugleich zu ziehen schien. Seine Haut war fleckig – normal gefärbte Partien wechselten sich mit pergamentweißen ab, so dass er aussah,

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