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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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oder Hunde oder Bären. Keine Großkatzen. Und Zäune gibt es nur, damit man die Tiere scheren kann und um sie von den Heuwiesen fernzuhalten, stimmt’s?«
    »Ja, ich glaube schon.« Und dann fiel ihr ein, dass sie diesen Ort preisen und ihm schmackhaft machen sollte, damit er als Partner einstieg und sie in die Stadt und zu ihren Dingen zurückkehren und wie ein zivilisierter Mensch leben und gesund werden konnte oder auch nicht. Soviel wusste sie jedenfalls: Sie wollte nicht hier draußen sterben. Das Leben hier erschien ihr wie das Fegefeuer. Sie langweilte sich. Sie fürchtete sich. Sie wollte davon erlöst sein, sonst nichts. »Es ist ein besonderer Ort«, sagte sie. »Wirklich besonders.« Und beinahe hätte sie hinzugefügt: eine einmalige Gelegenheit , doch sie unterdrückte den Impuls.
    Er musterte sie aus zu kleinen, zu dicht beieinanderstehenden Augen – sein Gesicht wirkte, als wäre es im Mutterleib zusammengedrückt worden. Sein großer Schnurrbart verdeckte den Mund, doch es mochte sein, dass er lächelte, zumindest sah es für sie so aus. »Man könnte meinen, Sie versuchen, mir den Ort im besten Licht darzustellen«, sagte er.
    Sie wollte es leugnen, lächelte ihn aber statt dessen an, wenn auch nur, um ihre Verlegenheit zu überspielen. »Ja, vielleicht. Aber das hier ist jeden Cent, den wir investiert haben, wert. Es ist eine Gelegenheit. Und ich bin glücklich. Sehr glücklich.«
    Und jetzt grinste er tatsächlich, der Schnurrbart hob sich und gab die bräunlich verfärbte Zahnreihe im Unterkiefer frei. »Ich fühle mich geschmeichelt«, sagte er, »aber das ist eigentlich nicht nötig. Hiram, Will und ich haben gestern abend die Papiere unterzeichnet.«
    »Ja«, sagte sie, »ja«, wusste aber gar nicht, zu was sie ihre Zustimmung gab. Ihr Herz klopfte, sie errötete. Er trat einen Schritt beiseite, so dass die Sonne ihr ins Gesicht schien und sie die Augen mit der Hand beschatten musste. Aus dem Pferch erklang ein langgezogenes Schnaufen, als eines der Schafe losgelassen wurde und auf unsicheren Beinen davongaloppierte. »Wann haben Sie –?« fragte sie, doch er unterbrach sie.
    »Hat Ihr Mann es Ihnen nicht erzählt?«
    »Nun, ich ... Er ist heute morgen sehr früh aufgestanden, wegen der Schur, und ich muss verschlafen haben ...«
    »Alles ist in Ordnung«, sagte er und streckte die Hand aus, als wollte er ein Geschäft besiegeln, doch sie sah ihn nur verwirrt an. »Ich freue mich, Ihr neuer Partner zu sein, Ihrer und der Ihres Mannes. Ich bin sicher, es wird zu unser aller Bestem sein.«
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich freue mich. Ich freue mich sehr.« Plötzlich fühlte sie sich beschwingt, so glücklich, dass sie kaum bemerkte, wie er verlegen seine ausgestreckte Hand sinken ließ. Aber Ehefrauen besiegelten ja auch keine Geschäfte – das taten ihre Männer. »Und ... wann kommen Sie und übernehmen die Ranch?«
    »Oh, ich werde nicht kommen. Ich glaube, das würde Ihr Mann nicht wollen, meinen Sie nicht auch? Nein, nein, Sie haben mich missverstanden: Ich bin nur stiller Teilhaber.«
    »Stiller Teilhaber?« wiederholte sie und konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen.
    »Ja«, sagte er, »nur auf dem Papier.« Und wieder dieser Blick – war das Spott? Spießte er sie mit Absicht auf einen Pfahl, wollte er sie quälen, sie abstürzen lassen wie einen von Ords Adlern? »Keine Sorge«, sagte er, »Sie können hierbleiben, solange Sie wollen.«

DER NEBEL
    Und dann waren sie alle fort, und alles war wieder wie immer. Die prallen Segeltuchsäcke voller Wolle – eine Rekordmenge, wie Will behauptete – lagerten in der Scheune und erwarteten den Ausbau des letzten Wegabschnitts und die Rückkehr von Charlie Curners Schoner, die in zwei, drei Wochen erfolgen sollte. Ida verstaute den großen Kessel, deckte den Tisch für sechs und backte nicht mehr jeden Morgen, sondern nur noch alle drei Tage. Es gab keine Tortillas mehr, die ohnehin niemand mehr sehen wollte – halbverbrannte, geschmacklose Dinger, so fade wie der ungesäuerte Maisteig, aus dem sie gemacht waren. Die Abende waren ruhig. Sie brauchte nicht mehr dabeizusitzen, wenn Will, Mills und Nichols einander Geschichten erzählten, sie musste nicht mehr so tun, als ob. Sie kehrten zum Ouijabrett zurück, zu Whist, Domino und Euchre, zu langem Schweigen und dem leisen Ticken des Ofens.
    Das einzige Ungewöhnliche war das Wetter. Während der Schur hatte es gehalten, und dafür dankte sie Gott, doch kaum hatte der Schoner

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