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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sind.«
    »Mrs. Waters?« In der Ferne schien ein Licht zu leuchten – eine Laterne, Idas Laterne –, und sie zog die Beine an und stemmte sich mit einer Hand auf die matschige Erde, aber im selben Augenblick überkam sie eine solche Schwäche, dass ihre Beine wie gelähmt waren und sie wieder zurücksank. Vielleicht wäre sie dort liegengeblieben, bis die Raben ihr die Augen ausgepickt hätten und die Käfer aus der Erde gekrochen wären, um sie zu verzehren, bis sie ganz dahingeschwunden wäre, wenn nicht mit hektischen Pfoten und wildem Gebell ein Schatten aus dem Nichts auf sie zugewirbelt wäre.
    »Ma’am?«
    »Hier«, flüsterte sie, während der Hund an ihr schnüffelte, ihr das Gesicht leckte und ihr Kleid beschmutzte, bis es aussah wie ein Putzlumpen.
    Idas Gesicht erschien, geisterhaft beleuchtet von der Laterne in ihrer Hand. »Ma’am? Alles in Ordnung? Sind Sie verletzt?«
    Es dauerte einen Augenblick. Der Husten kam in Wellen, wie die Brandung am Strand. Sie schob den Hund fort. Räusperte sich. Und obwohl Ida neben ihr stand und sie so schwach und krank sah wie noch nie, beugte sie sich schließlich vor und spuckte aus – sie konnte nicht anders. Der Auswurf war körnig und verfärbt und hinterließ in ihrem Mund einen Geschmack, als hätte sie versucht, etwas Totes zu verschlucken. Und dabei war das Tote doch bereits in ihr.
    »Ja, alles in Ordnung«, sagte sie. »Es geht mir gut. Anscheinend habe ich mich ... verlaufen.«

BAO YU
    Das Verstreichen der Tage glich dem Verfaulen einer Frucht. Sie lag im Bett und wartete auf den Blutsturz, alle gingen nur auf Zehenspitzen, Will war ernst, und Ediths Gesicht war so weiß, dass es aussah wie eine Maske. Aber der Blutsturz kam nicht. Sie hatte eine Erkältung, nichts weiter, die Augen brannten, die Nase lief, und eine Bronchitis vergrößerte das Problem, ja, aber es war doch nichts weiter als eine Erkältung, wie jeder sie mal hatte. Bloß eine Erkältung.
    Der Nebel löste sich auf. Es regnete. Dann schien einen ganzen Tag die Sonne. Und dann war sie wieder auf den Beinen, zwar mit laufender Nase, geschwächt und erniedrigt (sie musste ihr Geschäft auf dem Nachttopf erledigen, und Ida war es, die ihn holte und ausleerte), aber imstande, die Lambrequins für die Regale zu nähen und hinauszugehen und die Hühner und Truthähne zu füttern und zur Ertüchtigung ein wenig auf dem Hof und sogar ein Stück weit den Weg entlangzuspazieren.
    Sie war allein im Haus, es war ein Sonntagnachmittag, die Sonne stand hoch am Himmel, und alle anderen nutzten den Tag – oder jedenfalls den Nachmittag –, um nach indianischen Objekten wie Topfscherben oder Pfeilspitzen zu suchen. Edith hatte das Pferd genommen, Will ritt auf dem einen Maulesel, Adolph auf dem anderen, und Jimmie und Ida folgten ihnen zu Fuß. Man hatte sie gebeten mitzukommen, um ihr das Gefühl zu geben, dass sie dazugehörte – Will und Ida jedenfalls hatten sie gebeten, während Edith in ihrer Vorfreude auf das Reiten und die Schatzsuche so aufgeregt war, dass sie nicht einmal versuchte zu verbergen, wie gleichgültig es ihr war, ob ihre Mutter mitkam oder nicht. Marantha fand diese Bitte sehr rücksichtsvoll und war gerührt, sagte aber, sie fühle sich nicht kräftig genug. Ida verzog voll Mitgefühl das Gesicht. Oder voll Mitleid. Will nickte nur.
    Endlich einmal war das Haus warm. Will hatte Feuer gemacht und war sehr fürsorglich gewesen – Kann ich dir etwas bringen? Und du willst wirklich nicht mitkommen? Es ist ein richtiges kleines Abenteuer –, und jetzt, da die Sonne schien und der Wind sich gelegt hatte, war die Temperatur angenehm, sogar beim vorderen Fenster, wo es sonst immer zog. Sie setzte sich mit ihrem Nähkorb ans Fenster, weil das Licht dort am besten war, und wollte an der Bluse für Edith arbeiten, doch kaum hatte sie die Arbeit aufgenommen, legte sie sie wieder beiseite. Sie langweilte sich. Sie langweilte sich unendlich. Es lag natürlich an diesem Ort, wo ein Tag wie der andere war, wo es nichts zu tun gab als Nähen, Stricken, Kochen und Putzen, wo man immer dieselben Gesichter sah und es jeden Abend dieselbe Unterhaltung gab. Dieselben Karten sogar. Dieselben vier Wände. Dieselbe durchhängende Decke. Dann sagte Will etwas über die Schafe, die Scheune, seine Dynamitstangen. Jimmie antwortete etwas. Adolph starrte ins Leere, als wäre er in tiefe Gedanken über die Metaphysik des Schafbads oder des gebrochenen Spatenstiels versunken. Edith , sagte sie dann, nur um

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