Sanctum
Und mit ihr zusammen unterwegs zu sein war sogar noch schlimmer, als Zeit mit seiner Halbschwester verbringen zu müssen.
Für Eric war es erstaunlich, dass eine junge Frau von einundzwanzig Jahren es schaffte, derart altbacken unmodische Kleidung ausfindig zu machen und sie auch noch anzuziehen. Das hatte nicht mit Frömmigkeit und Schlichtheit zu tun. Das war einfach nur der nach außen getragene Beweis eines ebenso langweiligen wie unangenehmen Charakters. Das kleine schwarze Kreuz, das sie ansonsten am Revers getragen hatte, befand sich nun auf der Innenseite ihres Blusenkragens. Sie verbarg es auf sein Anraten hin. Es sollte nicht jeder sehen, dass sie eine Geistliche war.
Schweigend saßen sie nebeneinander und lauschten auf die Durchsagen der verschiedenen Abflüge. Eingecheckt hatten sie ihr Gepäck bereits, nun mussten sie zwei Stunden warten, bis sie am Gate A8 ins Flugzeug nach Zagreb steigen konnten. Von dort ging es weiter nach Plitvice; den Flug mit der ramponierten, bekannten Dornier 328 hatte er per Handy bereits arrangiert. Der Pilot besaß den richtigen Riecher, was seine Passagiere und deren Bedarf an neuerlichen Dienstleistungen anging.
Um sie herum saßen ein paar andere Passagiere. Die meisten tummelten sich in dem zweiten, viel größeren Einkaufsbereich des Aeroporto im Stockwerk darüber.
Eric hatte sich für einen Macchiato entschieden, also einen starken Kaffee, den der Barista mit ein paar Spritzern Milch versah und den man eigentlich kaum mit einem Latte Macchiato verwechseln konnte. Der Barista warnte ihn dennoch und erklärte ihm höflich, wo die Unterschiede lagen. Die meisten Ausländer – hauptsächlich jedoch Deutsche – gerieten regelmäßig in diese Kaffeeverständigungsfalle. Emanuela schlürfte unglaublich laut an ihrem Mineralwasser, Eric nippte bloß an seinem Getränk und beobachtete die Umgebung, die Menschen, die Anzeigetafel, die Sicherheitsleute, einfach alles.
Ansatzlos drehte Emanuela den Kopf zu ihm. »Sie haben mich vor der Oberin diskreditiert«, sagte sie eiskalt. Sie ließ ihn spüren, dass sie ihn hasste. »Warum?«
»Weil Sie gelogen haben«, hielt er dagegen, ohne sie anzuschauen. Er behielt die Anzeigetafel im Auge, auf der immer rascher die beunruhigenden Hinweise cancelled und delayed erschienen. Das Wetter um Rom verschlechterte sich rapide, und die Laufschrift über die aktuelle Lage im Zielgebiet brachte ihm zusätzliche Kopfschmerzen. Er rieb sich über den rechten Unterarm; sein Blut wurde heißer und juckte. Ein schlechtes Zeichen.
»Ich lag da«, beharrte sie und berührte die Stelle ihrer Bluse, wo sich das Kreuz befand. »Das schwöre ich beim Blute des Herrn. Sie haben mich einfach nicht gesehen und behaupteten deswegen, ich sei eine Lügnerin!«
»Ja, ja«, meinte er nur. »Wenn Sie das sagen …« Nach wie vor hatte er keine Zweifel an dem, was er am Hubschrauberwrack gesehen oder vielmehr nicht gesehen hatte. Viel mehr beschäftigte ihn allerdings der Gedanke, dass die kroatische Polizei einen Ausländer namens Jose Devina aus Badajóz suchte, der ihm sehr glich. Verständlich, er war es auch gewesen, nur mit einem gefälschten Pass. Aus diesem Grund hatte er sich die Haare, Koteletten und das Bärtchen blond gefärbt. Ein ungewohnter Anblick im Spiegel.
»Ich weiß, dass Sie mir nicht glauben«, sagte sie verärgert.
Eric schwieg, um sie nicht weiter herauszufordern. Je weniger er sich mit ihr unterhalten musste, desto besser. Er hielt sie für eine Scheinheilige und würde ihr sobald wie möglich eine Gelegenheit geben, sich selbst zu überführen. Wenn sie für die ominöse dritte Partei arbeitete – aus welchen Gründen auch immer –, würde er in Kroatien den Beweis finden. Plötzlich ruckte sein Kopf zur Seite. Was …? Ohne auf Emanuelas angewiderten Gesichtsausdruck zu achten, sog er tief Luft durch die Nase ein. Der Geruch, den er gerade bemerkt hatte, kam ihm bekannt vor … sehr bekannt. Erinnerungen flammten auf, Erinnerungen an spontanen, guten Sex, langes blondes Haar … und an abstract axpression.
Eric sah in die Richtung, aus der die eindeutige Geruchsmarke zu ihm herüberwehte.
Und richtig. Da stand sie!
Severina wandte ihm, wie damals in der Galerie, den Rücken zu. Dieses Mal studierte sie eine Tafel mit Touristeninformationen. Der dunkelrote Mantel betonte ihr blondes Haar, das offen auf ihre Schultern fiel, und auf ihre Bikerstiefel schien sie in keiner Lebenslage verzichten zu wollen, auch wenn sie diesmal
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