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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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mit spitzen Fingern. Danach warf er sie Jean zu. »Sprich den König nicht an, es sei denn, du wirst etwas gefragt. Nenne ihn hoheitlich Sire und verbeuge dich nach jeder deiner Antworten. Bohre dir nicht in der Nase oder furze. Und dreh ihm nicht den Rücken zu. Hast du das verstanden?«
    Jean nickte.
    »Hoffen wir es mal.« Der Diener bedeutete den wartenden Livrierten an der Tür, die Flügel zu öffnen, und sofort drang gedämpftes Gemurmel aus dem Saal dahinter hervor. Die großen Fenster ließen sehr viel Licht herein, es roch nach Lavendel und starkem Parfüm, das den Schweiß übertünchen und die Läuse vertreiben sollte. Unter den üppigen Kleidern krochen sie wahrscheinlich besonders zahlreich über die Haut und saugten das Blut der Adligen. Blutsauger der Blutsauger.
    Jean wollte nicht hier sein. François de Morangiès schlich durch Rom und jagte vermutlich gerade Unschuldige, während er nach Paris kommen musste, um vor den König zu treten und als Unterhaltung für seinen Hofstaat zu dienen. Doch sich dem Willen des Königs zu widersetzen bedeutete Majestätsbeleidigung. Und vielleicht würde er die Gelegenheit bekommen, vor weiteren Bestien zu warnen?
    Jean nahm seinen Mut zusammen und trat in den Saal. Hinter ihm wurden die Türen wieder geschlossen.
    Jean ging gemessenen Schrittes auf den Thron zu, auf dem die verschwenderisch gekleidete Gestalt von König Louis XV. saß, um ihn herum eine Horde von Gecken und Laffen, die den Neuankömmling anstarrten, lachten und tuschelten. Sie betrachteten ihn als ein ebensolches Amüsement wie einen dressierten Affen oder einen bunten, sprechenden Vogel.
    Um den Thron herum hatte man halbkreisförmig Stühle aufgestellt, auf denen die edlen, stark geschminkten Damen und gepuderten Herren saßen, sich Luft zufächerten und Konfekt naschten. Sie erwarteten offenbar ein Schauspiel von dem Mann, der die Bestie erlegt hatte.
    Vier Schritte vor dem Thron blieb Jean stehen und verneigte sich tief.
    »Nun, wen haben wir hier?«, wurde er huldvoll gefragt.
    »Sire, mein Name ist Jean Chastel. Ihr habt mich rufen lassen.«
    Der König saß schräg auf seinem Thron und musterte ihn neugierig. Auf seinem Kopf saß eine sich zu einem wahren Berg auftürmende Perücke, deren Ausläufer rechts und links auf die Brust fielen; sein Wams war mit Goldfäden durchwirkt, die Pluderhose mit den weißen Strümpfen darunter und den goldfarbenen Schuhen machte ihn in Jeans Augen zum Obergecken unter den Versammelten.
    »Du bist also der Mann, von dem die Leute behaupten, er habe die Bestie im von Gott vergessenen Gevaudan erlegt.« Der König nickte einem der Höflinge zu, der auf Jean zuging und die Hand nach der Muskete ausstreckte. »Ich will sehen, was das für eine Büchse ist, die das vollbracht hat, was alle meine Männer, die ich aussandte, nicht zu bewerkstelligen vermochten.«
    Jean hörte die Belustigung in der königlichen Stimme, in der auch ein Hauch Unmut lag. Der Marquis hatte ihn davor gewarnt, etwas zu tun, was Seine Majestät erzürnen könnte. »Sie ist nichts Besonderes, Sire«, antwortete er und verneigte sich, wenn auch etwas zu spät.
    Der König erhielt die Muskete, drehte sie hin und her, legte sie an und zielte zum Fenster hinaus, schwang über die Köpfe der Männer und Frauen, bis die Läufe auf Jean zeigten. »Meine Gratulation zu deiner Tat. Auch wenn du nichts anderes getan hast, als einen großen Wolf zu erlegen«, sagte er schneidend. »Denn der tapfere Antoine de Beauterne hat die Gefahr für das Gevaudan bereits viel früher als du beseitigt.«
    »Es war die falsche Bestie, Sire.«
    Der Hofstaat raunte leise. Jean hatte gesprochen, ohne gefragt worden zu sein.
    »Es war die richtige Bestie, du Narr. Das Biest hat in meiner Tiersammlung schon nach wenigen Tagen angefangen, bestialisch zu stinken und zu verwesen, obwohl mein Konservator der Beste ist. Der Geruch kam geradewegs aus der Hölle!« Die Mündungen waren immer noch auf Jean gerichtet. »Und du besitzt die Frechheit, dich von dem jungen Marquis d’Apcher zu diesen dummen Jagden auf ein Tier überreden zu lassen, das nach meiner Anordnung schon lange tot ist?« Sein Zeigefinger ruckte nach hinten, die Hähne schnappten nach unten. Eine der Damen stieß einen spitzen Schrei aus – doch außer einem scharfen Klicken geschah nichts.
    Der König setzte die Muskete ab und reichte sie dem Höfling, der sie an Chastel zurückgab. »Ich denke, du hast verstanden.«
    Jeans Herz klopfte gewaltig. Und

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