Sanctum
wie er verstanden hatte.
»Aber es soll nicht heißen, dein König sei dir gegenüber undankbar gewesen. Du hast der Pfarrei ohne Frage einen großen Dienst erwiesen, indem du diesen gefräßigen Wolf«, er betonte das Wort absichtlich, »erlegt hast. Dafür sollst du eine Belohnung erhalten.« Er winkte einen anderen Höfling zu sich, der ihm eine kleine Schatulle hinhielt. Der König öffnete sie und nahm einen Beutel heraus. »Das ist für dich, Jean Chastel.« Er warf ihn vor die Füße des Wildhüters; es klirrte. »Von nun an wird nie wieder über die Bestie des Gevaudan gesprochen werden. Sie ist mehr als einmal erschossen worden, das mag sein. Aber sie ist tot, in all ihren Formen.«
Auch wenn alle erwarteten, dass sich Jean nun wortlos nach dem Geld bücken und verschwinden würde, so verneigte er sich doch nur und sprach schon wieder. »Sire, erlaubt mir ein Wort.«
»Des Dankes?«, hakte der König sofort nach.
»Ich muss Euch sagen, Sire, dass es vermutlich mehr als nur diese Bestie gibt.« Jean schluckte. »Sie ziehen durch Frankreich und die umliegenden Länder, Sire, und trachten nach dem Fleisch …«
»Genug, Chastel!«, rief der König und zeigte auf den Beutel. »Heb ihn auf und verschwinde! Geh zurück in dein armseliges Gevaudan, wo es nichts als Schafe, Ziegen und die Berge gibt! Ich will dich nicht mehr sehen und nichts mehr von der Bestie hören. Niemals mehr!«
»Sire …«
»Raus!«, schrie der König. Zwei Diener erschienen neben Jean, packten ihn an den Oberarmen und schleppten ihn rückwärts zum Ausgang. »Es gibt keine Bestie, merkt es euch alle!«, tobte der König außer sich. »Ich habe sie besiegt, und sie wird niemals mehr zurückkehren!« Der Rest seines Wutanfalls wurde durch die sich schließenden Türen abgedämpft und undeutlich. Jean verstand kein Wort mehr.
»Lasst mich«, befahl er den Dienern und riss sich los. Einer von ihnen drückte ihm das Beutelchen in die Hand. Es war weniger, als ihm der Marquis überlassen hatte. Jean lachte bitter auf. Niemand, auch kein geiziger König, konnte sein Schweigen kaufen, denn es brachte nichts, die Augen vor dem Wissen zu verschließen. Es würde die Bestie nicht davon abhalten, neue Untaten zu vollbringen.
»Ich hatte dir doch gesagt, dass du nur antworten sollst«, bemerkte einer der Diener wütend und ging voraus in Richtung Ausgang. Er funkelte ihn unfreundlich an. »Wegen dir wird Seine Majestät den Rest des Tages unausstehlich sein, und wir bekommen es zu spüren.«
Jean folgte ihm. Er war sehr froh, Versailles rasch verlassen zu können. Sein Verlangen, nach Rom zu gehen und den Comte aufzustöbern, ihn zu erlegen, wurde immer stärker. Er trat hinaus und stand vor einem Nebenflügel des Palastes. Die Kutsche, die ihn hergebracht hatte, war verschwunden. Anscheinend hatte der dafür zuständige Diener entschieden, dass der unbequeme Gast zu Fuß gehen durfte.
Jean machte das Marschieren nichts aus. Im Gegenteil: Es würde ihm die Gelegenheit geben, sich von der Wut zu befreien, die der König in ihm geweckt hatte. Louis XV. verschloss seine Augen absichtlich und vertraute darauf, dass auch das Übernatürliche und Teuflische sich den Anweisungen eines Monarchen beugte. Leider war dem nicht so.
»Ihr glaubt wirklich an das, was Ihr vor dem König gesagt habt.«
Jean kam die Stimme, die ihn in den Rücken getroffen hatte, vage bekannt vor, und er wandte sich um.
Hinter ihm stand Antoine de Beauterne, dieses Mal noch prunkvoller gekleidet als damals, als sie sich bei der Jagd auf die Bestie getroffen hatten. Er trug einen dunkelgrünen Rock mit silbernen und blauen Stickereien, weiße Strümpfe und Schnallenschuhe, an denen echte Edelsteine glänzten; in der Linken hielt er einen Gehstock, dessen Knauf mit einer goldenen Kugel verziert war. Immerhin hatte er auf eine Perücke verzichtet, ein federgeschmückter Dreispitz saß auf den kurzen schwarzen Haaren. Was hätte man mit den Livres, die in dieser Garderobe steckten, alles Nützliches kaufen können …
»Mon Seigneur, Ihr wart auch in dem Saal?«
»Ganz hinten, Chastel. Bei den in Ungnade Gefallenen.« De Beauterne lächelte schwach. »Der König ist ein Mann, der nicht viel honoriert und sehr viel bemängelt.«
»Und da traf es Euch, mon Seigneur, den Mann, der die Bestie besiegt hat?«
»Ihr habt sie erlegt, Chastel. Was wir damals in der Schlucht erschossen haben, das war der große Wolf, von dem der König gesprochen hat. Ich wusste es sofort.« De
Weitere Kostenlose Bücher