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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Beauterne deutete mit dem Gehstock die Palastfront entlang zu den Stallungen. »Kommt, ich lasse Euch fahren, Chastel. Ihr habt es nicht verdient, den langen Weg laufen zu müssen.«
    Jean betrachtete den Mann mit ganz anderen Augen. »Woher dieser Sinneswandel, mon Seigneur?«
    »Erinnert Euch, dass ich sehr viel Zeit in Eurer Heimat damit verbracht habe, die Umgebung kennen zu lernen, die Landschaft und das Wetter einzuschätzen und nicht zuletzt die Tierwelt zu untersuchen.« De Beauterne schüttelte den Kopf. »Wölfe, Chastel, richten nicht diese Massaker an, die wir gesehen haben. Selbst die beiden Normannen sind mit der Überzeugung in ihre Heimat zurückgekehrt, es mit einem neuartigen, unentdeckten Tier zu tun gehabt zu haben. Und was Capitaine Duhamel angeht, nun, er hat nach kurzer Zeit von einem Wesen und nicht mehr von einem Wolf gesprochen.« Er zeigte auf den Palast. »Da drin sitzt ein König, der sich vor allen anderen Versionen fürchtet. Es war mir befohlen worden, mit der Bestie nach Versailles zu kommen, alles andere hätte Seine Majestät nicht akzeptiert.«
    Sie betraten die Stallungen, und de Beauterne ließ seine Kutsche anspannen. »Ihr habt sie erschossen, Chastel. Sagt mir: Was war es?«
    Jean zauderte. »Es war … es war wirklich ein Mischwesen, mon Seigneur«, ließ er sich zu einer Andeutung hinreißen. »Es kann, wenn es will, auf zwei Beinen laufen und ist furchtbar kräftig. Wir haben es im Wald vergraben und den Menschen den Wolf gezeigt, damit sie nicht mehr an Dämonen glauben und das Vertrauen in Gott verlieren«, sagte er.
    »Man kann es demnach leicht für einen Loup-Garou halten?« De Beauterne beobachtete die Stallburschen bei der Arbeit. »Das erklärt so einige Geschichten, die man immer wieder hört.«
    »Wie ich bereits sagte: Es gibt mehr als nur eines dieser Wesen, mon Seigneur.« Jean bewegte sich auf einem schmalen Grat zwischen Wahrheit und Erfundenem. »Wenn Ihr wieder auf die Jagd geht, mon Seigneur, dann ladet Silberkugeln. Sie wirken bei dem Wesen besser als Blei. Das ist mein Rat an Euch.«
    »Meinen Dank, Chastel. Vielleicht reise ich in absehbarer Zeit wieder ins Gevaudan, um nach dem Rechten zu sehen.« De Beauterne sah ihn ernst an. »Weil ich mit Euch übereinstimme, dass es mehr als ein Wesen gibt. Die Anzahl der Morde und die Orte, die an einem Tag oftmals so weit auseinander lagen, lassen keinen Zweifel daran. Es sei denn, dieses Wesen vermag zu fliegen.«
    »Nein, das kann es nicht.« Jean verspürte Erleichterung, dass sich ein erfahrener Jäger in seine Heimat begab. »Ich danke Euch, dass Ihr mir Glauben schenkt, mon Seigneur.«
    »Mir bleibt keine Wahl. Dafür ist zu viel geschehen, und dafür habe ich zu viel gesehen.« Die Stallburschen waren fertig, die Kutsche war angespannt. »Steigt ein, Chastel. Vielleicht treffen wir uns im Gevaudan und erlegen gemeinsam das, was der König nicht wahrhaben möchte.«
    Jean verneigte sich vor de Beauterne, bevor er einstieg. »Ich stehe in Eurer Schuld, mon Seigneur.« Er zog die Tür zu und setzte sich. Die Kutsche rollte los.

    Das stetige Klappern und Rumpeln lullte Jean schon nach kurzer Zeit ein, er versank in ein erholsames Dösen, das – je länger es dauerte – in einen bedrohlichen Albtraum überging. Jean sah sich vor einem Spiegel stehen. Er betrachtete sein Ebenbild. Plötzlich schossen die ersten feinen Härchen mitten aus seinem Gesicht, wurden dichter und dunkler. Sein Gesicht verschob sich, wuchs in die Länge und bekam kantigere Züge …
    Bevor die Verwandlung weiter voranschritt, schreckte Jean aus dem Traum hoch. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, öffnete die Fenster, um Fahrtluft in die stickige Kabine zu lassen, und hielt sein Gesicht in den staubigen Wind. Dabei bemühte er sich einmal mehr, nicht an die feine Narbe an seinem Handgelenk zu denken. Es war die Hand, in die ihn sein Sohn Antoine im Todeskampf gebissen hatte.

V.
KAPITEL

    Italien, Rom, 25. November 2004, 19.31 Uhr
    Er hätte nicht für möglich gehalten, dass es noch schlimmer werden würde. Aber nun war genau das passiert.
    Eric fühlte sich nicht gut. Das lag an der Wirkung seiner Tropfen und an seiner Begleiterin, die wider Erwarten nicht Justine war. Seine Halbschwester war in einer eigenen Mission unterwegs, wurde ihm gesagt. Also begleitete ihn Schwester Emanuela, die jetzt neben ihm auf dem Plastiksitz des Cafés vor dem Check-in-Bereich von Terminal A des Aeroporto Leonardo da Vinci di Fiumicino saß.

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