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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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erstaunt fest, dass sich dort ihre wenigen Besitztümer aus den Herbergen fanden. Offenbar hielt der Kardinal es nicht für nötig – oder zu gefährlich –, dass sie ihre neue Unterkunft noch einmal verließen. »Nun, dann tun wir ihm den Gefallen und sehen uns hier um«, knurrte Jean. Er öffnete die nächstgelegene Tür und fand dahinter die Küche. Sie setzten sich an den einfachen Tisch. Jean schenkte erst ihr, dann sich von dem Wasser ein, das in einer Karaffe bereitstand. Ihre neuen Verbündeten hatten wirklich an alles gedacht. Und waren sich ihrer Sache für Jeans Geschmack deutlich zu sicher gewesen.
    Sie trank, stellte das Glas ab und nahm seine linke Hand. »Jean, ich habe keine andere Wahl.«
    »Ich weiß«, seufzte er.
    »Und ich bitte dich, bei aller Freundschaft und den Gefühlen, die wir füreinander hegen: Lass mich nicht allein. Sei mein General, der die Truppen ausbildet und in die Schlacht führt.« Sie sah ihn eindringlich an und schwieg, die Lippen angespannt aufeinander gepresst.
    Sie hätte alles von ihm verlangen können, er hätte es getan. »Natürlich lasse ich dich nicht allein«, sagte er ruhig und voller Liebe und streichelte ihren Handrücken mit dem Daumen. »Wir sind auserkoren, die Welt eines Tages ein wenig besser zurückzulassen, als wir sie vorgefunden haben.« Er lächelte sie an und vollendete seinen Satz nur in Gedanken. Aber ich werde sehr genau darauf achten, was dieser maskierte Kardinal tut. Und ich werde herausfinden, wer hinter dem weißen Engelsgesicht steckt!
    Sie drückte seine Finger und strahlte vor Erleichterung. »Danke, lieber Jean.« Beinahe hätte sie sich zu einem Kuss hinreißen lassen, doch sie widerstand dem Impuls und strich ihm nur über den hellen Schopf. Dann stand sie auf und ging in die Halle, um den Beutel aus ihrer Herberge anzusehen. Darin befanden sich zu ihrer Erleichterung sowohl der Atlas als auch die Blätter, die sie bereits daraus entfernt und zur Sicherheit in den Falten eines neuen Rockes verborgen hatte. »Ich werde mit der Übersetzung beginnen, Jean. Es ist wichtig, dass du so schnell wie möglich dasselbe Wissen hast wie unsere Gegner.«
    Er hatte ihre Hand nur widerwillig losgelassen. Jean sehnte sich nach einer Umarmung, einer Berührung, nach einer weiteren Nacht mit ihr – und machte sich sofort Vorwürfe deswegen. Schnell sagte er: »Und ich finde es wichtig, dass wir nicht verhungern. Ich werde sehen, was die Speisekammer hergibt.«
    »Das ist ein sehr guter Einfall.« Gregoria ging in das nächste Zimmer; wenig später hörte Jean das Rascheln von Stoff, das gar nicht mehr enden wollte. Anscheinend zog sie die Tücher von den Möbeln und Bildern und verwandelte das Geisterhaus in einen Ort des Lebens.
    Jean entfachte ein Feuer im Herd, um kochen zu können. Er fürchtete, dass er den Zwist in seinem Inneren niemals überwinden könnte – weder die Gefühle, die er für Gregoria hegte, noch das Misstrauen, das er dem Kardinal entgegenbrachte. Er nahm eine Pfanne, stellte sie auf die Platte und gab einen Löffel Schmalz hinein. Er sah dem Fett beim Schmelzen zu, hörte es leise knistern. »Ich werde Acht auf Euch geben, Eminenz«, flüsterte er abwesend. »Denn ich werde immer ein Thomas sein.«

    29. September 1767, Italien, Rom
    Jean betrachtete die fünf jungen Frauen, die ihm Lentolo mit Stolz präsentierte. Dazu hatte er ihn am frühen Morgen abgeholt, mit einer Kutsche quer durch Rom gefahren und ihn in den Hof einer Handelsniederlassung geführt.
    Ihr Alter lag zwischen sechzehn und zwanzig Jahren. Sie trugen schlichte weiße Hemden und Hosen, die langen Haare waren zu strengen Zöpfen gebunden. Sie standen im sonnenbeschienenen Hof in einer Reihe nebeneinander, die Hände auf dem Rücken und den Blick geradeaus gerichtet.
    »Das sind sie«, sagte Lentolo, der wieder in seiner Kaufmannstracht aufgetaucht war, und erlaubte den Frauen mit einer Geste, bequem zu stehen. »Sie wurden vier Jahre lang ausgebildet, wie man Soldaten erzieht. Sie können alles, was auf dem Schlachtfeld von Nutzen ist.« Er schaute zu Jean und schob seine Kappe auf den halblangen Haaren zurecht. »Monsieur, ich übergebe sie in Eure Obhut. Von diesem Augenblick an werden sie Euch gehorchen, egal, was Ihr von ihnen verlangt.«
    »Sprechen sie auch Französisch, oder muss ich auf unseren Jagden immer einen Übersetzer mitnehmen?« Jean wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Das waren doch noch halbe Kinder! Die ernsten Gesichter der jungen

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