Sanctum
Ihr gefiel sie bereits sehr gut.
Mit neuer Zuversicht machte sie sich wieder an die Übersetzung. Der neue Abschnitt widmete sich den Beobachtungen in Italien, insbesondere in Rom. Es fanden sich Hinweise auf eine wolfsähnliche Kreatur, so wie Gregoria erwartet hatte. Von weit mehr Zeugen war aber auf den Dächern des Trasteveres ein geheimnisvoller schwarzer Panter beobachtet worden. Merkwürdig …
Sie hörte, wie die Tür aufgeschlossen wurde, und erkannte die Schritte von Jean, die sich schleppend und müde anhörten. Humpelte er etwa? Gregoria richtete sich auf und sah zur Tür, in der er gleich darauf erschien.
»Beim Allmächtigen, was …« Seine Jacke war voller Schmutz, die Naht an der Schulter hatte sich gelöst, in seinem Gesicht erkannte sie sogar einen blauen Fleck vom Kinn hinauf bis zur rechten Wange.
»Sei unbesorgt«, beruhigte er sie, weil er die Aufregung in ihrer Stimme erkannte. »Es ist nichts.«
»Nichts? Du siehst aus, als wärst du unter die Räuber gefallen.«
»Unter die Engel, Gregoria.« Er humpelte ins Zimmer, hielt sich den Rücken und setzte sich vorsichtig in den Sessel neben ihrem Schreibtisch. »Die Seraphim sind ohne Zweifel gute Kämpferinnen, trotz ihres geringen Alters.« Er ächzte und hielt sich die linke Seite. »Ich bin heute so oft geworfen und geschlagen worden wie schon lange nicht mehr.« Er tastete an sich herab. »Sie haben mir bestimmt eine Rippe gebrochen. Am schlimmsten war Rebekka, unscheinbar wie ein Kind, aber flink und kräftig wie ein Mann. Und ich wäre bereit, einen Haufen Livres darauf zu wetten, dass die schüchterne Debora es mit drei ausgewachsenen Männern gleichzeitig aufnehmen könnte.«
Gregoria lachte und schob ihren Tee zu ihm hinüber. »Dann trink davon. Du hast ihn dir verdient.«
»Tee? Ich habe mir einen Wein verdient! Die Sammlung im Keller sah sehr gut aus.« Er lächelte und freute sich über ihren Anblick. »Was machen deine Übersetzungen?«
»Ich habe einen ersten groben Überblick erstellt und bin bei Italien angelangt, aber ich werde bis Ende des Jahres benötigen, bis ich alle Blätter übersetzt habe.« Sie zeigte auf das Papier vor sich. »Sieh hier, es scheint, als sei der Comte bereits früher hier gewesen. Also wird der Mord, nach dem du …«
»Das war nicht der Comte«, sagte er. »Ich habe in der Wohnung Spuren von schwarzem Fell gefunden, und das gehörte nicht zu der Bestie, in die er sich verwandeln kann. Es muss eine zweite geben.« Er versuchte, ihre Handschrift vom Sessel aus zu lesen.
»Ich bin noch nicht ganz fertig, aber die Rede ist hier auch von einem schwarzen Panter, der von Zeugen auf den Dächern im Viertel Trastevere gesehen wurde, und zwar immer kurz vor einem Mord.« Gregoria wandte sich wieder dem lateinischen Text zu. »Der Bericht sagt, dass es insgesamt elf Morde gegeben hat, die in das Muster passten. Die meisten geschahen jedoch im Jahr 1762. Es ging erst wieder los, als wir und der Comte in Rom ankamen.«
Jean rieb sich über sein stoppliges Kinn, es schabte und kratzte laut. »Bis zum Jahr 1762, sagst du?« Er dachte nach und forschte in seinen Erinnerungen, ob es etwas gab, das er mit den Erlebnissen der letzten Zeit in Einklang bringen konnte. Tatsächlich fand er eine Übereinstimmung. »In dem Jahr ging Antoine auf seine Reise.«
»Wohin ging er?«, erkundigte sich Gregoria. »Nach Rom?«
»Ich weiß es nicht.« Er seufzte. »Es war nur so ein Gedanke.«
Sie schaute auf die Blätter, dann sah sie zu ihm. »Wieso sollte der Panter so lange nicht mehr von sich reden machen und erst jetzt wieder mit seinen Morden beginnen …? Der Comte muss der Auslöser sein.«
Jean zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht, Gregoria. Und … ich kann nicht denken, mir tut alles weh. Ich sehe nach, ob ich etwas Balsam finde.« Er stand auf wie ein uralter Mann, hinkte zur Tür hinaus, verschwand im Keller und kehrte nach längerer Zeit mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern zurück.
»Da ist mein Balsam. Es ist ein italienischer, aber besser als nichts.« Er lächelte müde. »Ich kann wohl nicht erwarten, hier einen guten Tropfen aus dem Bordelais zu finden.« Er schenkte ihnen ein, reichte ihr ein volles Glas und stieß mit ihr an. »Auf unsere Aufgaben.«
Sie setzte das Glas an die Lippen und stellte es ab, ohne davon getrunken zu haben. Ihr widerstrebte der Geruch des Alkohols. Jean sah es mit Verwunderung.
»Ich mag nicht. Ich habe … in letzter Zeit kein Verlangen nach Wein oder
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