Sanctum
Eminenz.« Gregoria sah die vielen Bücher. Es roch nach altem Papier und ledernen Einbänden, der typische Duft einer Bibliothek. Für einen kurzen Moment war sie versucht, dem Kardinal von dem Atlas zu erzählen, den sie aus Rotondas Arbeitszimmer gestohlen hatte, doch dann schwieg sie lieber. Es konnte ein Vorteil sein, manche Erkenntnisse nicht mit jedem zu teilen.
»Lentolo wird Euch morgen zu den Seraphim führen. Das neue Haus, in dem Ihr wohnen werdet, habt Ihr bereits gesehen. Es wird Euch als Bleibe dienen, bis wir für den Orden ein besseres Gebäude gefunden haben.« Impegno legte die Arme auf den Rücken. »Das hängt natürlich davon ab, was Ihr Euch vorstellt.«
»Einen Orden aus der Taufe heben, eine eigene kleine Streitmacht, der Sturz der Jesuiten«, zählte Jean auf. »Was macht Euch sicher, dass alles nach Euren Plänen reifen wird?«
Impegno lachte leise. »Euer Erscheinen und das der Äbtissin, Monsieur. Ihr macht mich sicher. Und die Ereignisse der letzten Wochen natürlich. Ich gestehe, hätte mir Gott nicht Äbtissin Gregoria gesandt, es wäre vermutlich wieder eine lange Zeit ohne Veränderung ins Land gezogen. Doch es fügt sich alles, auch wenn Ihr es mit dem Verstand eines Zweiflers nicht sehen möchtet.« Die Maskierten öffneten wieder die Tür. »Thomas wurde von einem Ungläubigen zum Wissenden. Das Gleiche hoffe ich auch von Euch, Monsieur.« Er deutete in den Gang. »Hier trennen sich unsere Wege. Ich werde in den Vatikan zurückkehren, Ihr in Euer neues Domizil.«
»Wartet noch einen Moment!« Jean fand es ärgerlich, dass er das Gesicht des Kardinals nicht sehen konnte, und würde versuchen müssen, die Emotionen des anderen in den grünen Augen abzulesen. »Habt Ihr von den elf bestialischen Morden gehört? Nahe dem Forum Romanum?«
Die Augen blieben ausdruckslos. »Ich habe von keinerlei Morden gehört, und das hätte ich, wenn es welche gegeben hätte. Wieso fragt Ihr?«
»Reine Neugier«, behauptete Jean. »Nur ein Gerücht, das ich auf der Straße aufgeschnappt habe …«
»Nun, es freut mich, dass Ihr bereits an Volkes Munde lauscht. So wird es Euch möglich sein, die Seraphin nicht nur zu unserem Schwertarm, sondern auch zu unseren Augen und Ohren zu machen.« Impegno segnete ihn und Gregoria mit einer knappen Geste und verschwand zwischen den Regalen.
Die Bewaffneten bedeuteten Jean und Gregoria, in den Tunnel zurückzukehren. Kaum standen sie zwischen den beiden Laternen, die ihnen überlassen worden waren, rastete das Schloss ein.
Jean sah Gregoria an. »Du bist dir darüber im Klaren, dass wir den Zwecken anderer dienen, die bei dem, was sie tun, nicht unbedingt das Menschenwohl im Sinn haben?« Er nahm die Laternen auf, drückte ihr eine in die Hand und ging voran. »Wir sind wieder nur die Figuren auf einem Spielbrett.«
»Ich weiß, Jean.« Gregoria fühlte sich zerrissen. Im Gegensatz zu ihm fühlte sie neben der eigenen moralischen Verpflichtung, alles für Florence zu tun, auch die Loyalität zur Kirche. Zu der Kirche, der ihr unbekannter Kardinal angehörte. Es war ihr klar, dass es für Jean nicht leicht war, sich in den Dienst der Eminenz zu stellen. »Es ist gut, dass du es kritisch betrachtest«, erwiderte sie schließlich.
»Impegnos Ansatz ist gut. Aber wir müssten eigentlich etwas erschaffen, das die gleichen Möglichkeiten wie ein Orden besitzt, doch frei von allen Pfaffen dieser Welt ist«, dachte er laut nach. »Ein Zusammenschluss von Jägern mit Geld, Einfluss und Können.«
»Du weißt, dass es unmöglich ist.« Gregoria sah das Netz, das die Kirche auf allen bekannten Kontinenten miteinander verband. »Niemand kann es mit der heiligen römischen Kirche aufnehmen, nicht einmal die Könige der Welt. Wir brauchen sie, um unser Ziel zu erreichen, auch wenn wir damit anderen helfen. Mir ist es recht, wenn die Jesuiten vernichtet werden.«
Sie gingen schweigend durch die Katakomben und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Als sie vor der Tür ankamen, die in ihr Haus führte, sagte Jean: »Ich stelle mir die Frage: Was tut der Kardinal, wenn er seine Pläne umgesetzt hat?« Er tat sich schwer, seine Ablehnung zu überwinden. Er sprang mit diesem Bündnis nicht nur über seinen eigenen Schatten, er sprang über eine breite, unendlich tiefe Schlucht und hatte Angst, auf der anderen Seite im tödlichen Treibsand zu landen.
Gregoria öffnete nachdenklich die Schlösser. Sie betraten den Keller, stiegen die Stufen in die Halle hinauf und stellten
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