Sanctus Satanas - Das 5. Gebot: Thriller (German Edition)
im hintersten Winkel der kleinen
Abstellkammer hockte, war mitleiderregend.
Die vom Weinen verquollenen Kinderaugen, beinah so
rund wie Glasmurmeln in dem tränennassen, geröteten süßen Kindergesicht, hätten
einen Stein zum Erweichen gebracht.
»He, Leon.« Sich zu dem Jungen hinabbeugend, wagte
sich David langsam vor. »Was hast du denn? Warum hockst du hier? Solltest du
nicht im Unterricht sein?«
Seine Nähe ließ den Jungen sich nur noch tiefer in den
hintersten Winkel drücken. »Gehen Sie weg.«
»Warum?« Vorsichtig und hastige Bewegungen meidend,
setzte sich David vor Leon auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken an die
Wand. »Ich finde es gemütlich hier. Ich wollte sowieso eine Pause machen.«
»Gehen Sie weg.«
»Wieso? Darf ich hier nicht genauso Pause machen wie
du? Was ist los, Leon? Sollen wir vielleicht deine Mama anrufen, damit sie
herkommt?«
»Das geht nicht.«
»Warum nicht?«
»Sie ist tot.« Leons misstrauischer Blick streifte
ihn. »Stimmt das eigentlich?«
»Was?«
Eine Träne tropfte von Leons Kinn, und er wischte sich
durch das Gesicht, was eine Dreckspur hinterließ. »Stimmt es, dass Gott meine
Mama jetzt vom Himmel in die Hölle schickt, weil ich nicht genug gebetet habe?«
David atmete hörbar aus. »Wer hat das gesagt?«
»Pater Nathan.«
»Da hast du sicher etwas falsch verstanden.«
»Das hat Pater Matthias auch gesagt. Aber das habe ich
nicht.« In Leons Stimme lag Trotz.
»Pater Nathan sagt oft Sachen, die nicht stimmen.«
Leons Augen wurden groß. »Woher wissen Sie das?«
»Ich war auch einmal Schüler dieses Internats, Leon.
Aber das ist schon lange her. Damals habe ich auch geglaubt, was er gesagt hat.
Doch heute weiß ich, dass es nicht stimmte.«
Leon schien nachzudenken. »Aber dann lügt er doch. Und
er sagt, lügen dürfe man nicht.«
O verdammt! David
zermarterte sich den Kopf. »Manchmal ist er eben nicht ganz richtig im Kopf.
»Kennst du die Geschichte vom Lügenbaron Münchhausen?«
Leon schüttelte heftig den Kopf.
»Dieser Baron, ein alter Mann zu Pferd, kämpfte mit
einem Schwert gegen Windmühlen. So richtige alte Mühlen mit großen Windrädern,
weißt du? Er glaubte nämlich, die Mühlen seien Soldaten. Aber das war natürlich
Quatsch, es stimmte nicht. Und Pater Nathan glaubt eben auch, was er sagt, aber
es stimmt ganz oft auch nicht.«
Leons Lächeln ließ seine Augen strahlen. »Windmühlen?
Das ist ja vielleicht ein Quatsch.«
»Sage ich doch. Besser jetzt?«
Leon stand auf. »Dann ist Mama nicht in der Hölle?«
David stand ebenfalls auf. »Natürlich nicht.«
Leons schnelle Schritte hallten wider, als er davonlief.
Seit zwanzig Jahren hatte Pater Nathan sich nicht
geändert, war der gleiche religiöse Fanatiker wie früher.
Laut Sebastian Fischer, einem der weltlichen Lehrer
von Kloster Falzberg, hatte der bisherige Abt das in den letzten fünfzehn
Jahren im Griff gehabt. Doch seit dessen Tod war das wieder anders. »Wenn unser
neuer Abt Pater Jerome das nicht bald hinkriegt, melde ich das der
bischöflichen Diözese«, hatte Sebastian gesagt. »Die Eltern der Kinder
beschweren sich bereits bei mir.«
Davids Gedanken glitten zu Lena, während er einen der
Säulengänge entlang zur Klosterkapelle ging. Fliederduft hing wie Parfüm in der
Luft.
Durch das Klosterarchiv ging er in die Kapelle.
»Wo ist Lena, Josua?«
Josua, der neben dem Altar ein paar Kerzen anzündete,
blickte ihn nicht einmal an. »Woher soll ich das wissen, David? Sie haben diese
Schlampe doch mitgebracht.«
David ging auf den schlaksigen jungen Mann zu.
Der Kerzenanzünder fiel klirrend auf den Boden und
verlosch, als er Josua am T-Shirt packte. »Was soll das? Warum nennst du sie
so?«
»Ganz ruhig, Mann.« Josua stieß David von sich. »Haben
Sie nicht den tiefen Ausschnitt ihrer Bluse gesehen. Betritt man so eine
Kirche? Das ist respektlos. Wenigstens hatte sie gegenüber heute Morgen den
obersten Knopf geschlossen.«
»Gegenüber heute Morgen? Woher …? Ach, jetzt verstehe
ich.« David stieß Josua rückwärts gegen den Altar. »Du warst das! Du hast uns
heute Morgen in das verfallene Haus der Familie Herzog eingesperrt. Was sollte
das, Mann? Was hattest du da zu suchen?«
»Was hatten Sie da suchen, David? Warum
schnüffeln Sie da herum?« Josua drückte David von sich und hob den
Kerzenanzünder auf. »Und hören Sie auf, mich zu duzen. Sonst sorge ich dafür,
dass Sie rausfliegen.«
»Wo ist Lena?«
Josua wandte sich wieder den Kerzen
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