Sanctus
Garten hat die Zitadelle im Laufe ihrer ganzen Geschichte genährt«, sagte er, öffnete wieder die Suchmaschine und tippte etwas ein. »Die grünen Soutanen der Sancti sind ein Symbol dafür – wie auch der Name, unter dem sie früher bekannt gewesen sind: die Edeniten.« Erneut drückte er Enter, und eine neue Seite erschien. »Einige glauben, dieser Name beziehe sich auf das Alter ihres Ordens, der sich bis zu den Anfängen der Menschheit zurückverfolgen lässt. Andere wiederum glauben, die Bezeichnung sei wörtlich zu nehmen und dass das Tau gar kein Kreuz ist.«
Liv schaute sich die neue Seite an. Das Bild, das nun den Monitor füllte, unterstrich, was Oscars Worte implizierten.
Es war das stilisierte Bild eines Baumes. Der dünne Stamm teilte sich in zwei Äste, die von unzähligen Früchten nach unten gezogen wurden, sodass die Form eines ›T‹ entstand. Eine Schlange wand sich den Stamm hinauf, und rechts und links davon standen ein Mann und eine Frau. Liv blickte wieder zu Oscar. Sie konnte nicht so recht glauben, was er damit suggerieren wollte.
»Sie haben gesagt, die Zeichen seien auf Kerne geritzt worden«, sagte er. »Und wissen Sie auch auf was für Kerne?«
Liv schaute in die schwarzen Augen und dachte an all die Darstellungen von Adam und Eva vor dem Baum der Erkenntnis, die sie in ihrem Leben gesehen hatte. Einer hielt dabei immer die Frucht der Versuchung in der Hand.
»Apfel«, sagte sie. »Die Zeichen waren auf Apfelkerne geritzt.«
K APITEL 107
Die riesigen Gewölbe der Bibliothek leuchteten hell und grün im Nachtsichtgerät des Wächters, und alle Details waren zu sehen. Nun, da er den Weg sehen konnte, beschleunigte der Wächter seinen Schritt und zog die Beretta aus dem Ärmel. Er schaute von links nach rechts und suchte nach Hotspots, die jemanden verraten würden. Er sah jedoch nichts. Das Einzige, was aus dem Grün des Nachtsichtgerätes herausstach, war der Leuchtfaden, der bis zum Verbotenen Gewölbe führte.
Der Wächter benötigte weniger als eine Minute bis dorthin.
Als der Wächter sich dem Eingang zum letzten Gang näherte, verlangsamte er seinen Schritt, duckte sich und blieb dann stehen. Mit dem Rücken lehnte er sich an die Wand und lugte um die Ecke.
Er spähte in die Dunkelheit jenseits des im Nachtsichtgerät gleißend hellen Fadens und suchte sie ab.
Nichts.
Mit der Waffe im Anschlag schlich er leise den Gang hinunter und direkt ins Gewölbe.
*
Athanasius steckte in dem Regal, das er früher am Tag auf Vaters Thomas’ Anweisung hin geleert hatte. Es war dicht über dem Boden und lag dem Verbotenen Gewölbe direkt gegenüber.
Athanasius beobachtete, wie der dunkle Fleck sich am Leuchtfaden entlang von ihm wegbewegte. Da war jemand im Gang bei ihm. Das Regal stand so, dass jemand, der durch den Gang zum Verbotenen Gewölbe ging, ihn nicht sehen konnte, doch auf dem Rückweg würde derjenige ihn sofort entdecken. Athanasius musste von hier weg, bevor der Wächter sich umdrehte.
Langsam kroch Athanasius aus dem Regal. Er lauschte auf jedes noch so kleine Geräusch, und nicht eine Sekunde ließ er den dunklen Fleck aus den Augen.
Vorsichtig richtete Athanasius sich wieder auf und trat einen Schritt vor. Behutsam wie ein Balletttänzer setzte er den Fuß auf, vor lauter Angst, das Geräusch seiner Sandalen könne ihn verraten und ihm so den sofortigen Tod bringen.
Athanasius tastete sich in der Finsternis am Eingang zum Gang entlang und starrte dabei unablässig auf den dunklen Fleck. Der Wächter schien ihn nicht bemerkt zu haben, denn er setzte seinen Weg ins Gewölbe fort.
Athanasius machte einen zweiten Schritt.
Dann einen dritten.
Und einen vierten.
Beim fünften fand er den kalten Stein der Wand. Fast hätte er vor lauter Erleichterung nach Luft geschnappt. Dann erstarrte er. Der dunkle Fleck bewegte sich nicht mehr; er hatte kurz vor dem Ende des Leuchtfadens angehalten. Athanasius stellte sich den Wächter vor: Er stand am Ende des Gangs. In der Hand die Waffe. Er starrte ins Gewölbe. Wie lange würde es wohl dauern, bis er sich wieder umdrehte? Just in dem Augenblick, als ihm diese Frage in den Sinn kam, fand er die Ecke, die ihn vom Verbotenen Gewölbe weg und zu den antiken Texten führte.
Jede Faser seines Körpers schrie ihm inzwischen zu ›Lauf los!‹, doch er wusste, dass man im Verbotenen Gewölbe noch immer jedes Geräusch hören konnte, das er verursachte. Er musste leise bleiben. So schnell und leise wie möglich setzte Athanasius
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