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Sanctus

Sanctus

Titel: Sanctus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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und ihm blieben nur noch zwei Minuten, bis die Wache kam.
    Athanasius ging den Gang hinauf und hinunter, zählte die Schritte bis zum Gewölbe und streckte beim Gehen die Arme aus, um die Balance zu halten. Als er überzeugt war, dass sein Fluchtweg frei war, trat er noch einmal an die Stelle im Boden, wo die Dunkelheit begann. Er fühlte sich wie ein Mann am Rande des Abgrunds, zum Sprung bereit.
    Athanasius stellte sich den Raum vor, der vor ihm lag: der steinerne Katheder in der Mitte; die zwölf Nischen in der Höhlenwand dahinter, und in jeder ein schwarzer Kasten, der die größten Geheimnisse ihres Ordens enthielt. Athanasius schätzte, dass er eine Minute brauchen würde, um alles im Gewölbe wieder so herzurichten, wie es vor seinem Eindringen war, und den Gang hinauf zu fliehen. Damit blieben ihm sechzig Sekunden, um das Buch zu finden. Er rief sich noch einmal ins Gedächtnis zurück, wo der Abt es am Tag zuvor herausgeholt hatte – drei von links, zwei von oben. Athanasius ging im Geiste noch mal durch, was er tun würde, sobald er das Gewölbe betrat. Sechzig Sekunden reichten bei weitem nicht aus, aber mehr hatte er nicht.
    Athanasius starrte in die Dunkelheit und atmete tief durch. Dann zählte er im Kopf von sechzig runter ...
    ... und machte den ersten Schritt.
    *
    Der Wächter hob den Blick, als der Alarm ertönte. Er war schon aufgesprungen und schloss die Schreibtischschublade auf, als Athanasius sich noch ins Gewölbe vortastete.
    Im Schreibtisch lagen eine Beretta, ein paar Magazine und ein Nachtsichtgerät. Der Wächter schnappte sich alles, steckte das erste Magazin in die Beretta und stürmte durch die Tür und in die Eingangshalle.
    Vater Malachi erhob sich von seinem Stuhl. Sorge zeigte sich auf seinem Gesicht, als er den Carmina mit der Waffe in der einen Hand und dem Nachtsichtgerät in der anderen auf sich zukommen sah.
    »Gib mir eine Minute«, sagte der Wächter und steckte die Waffe in den Ärmel seiner Soutane. Dann betrat er die eigentliche Bibliothek.
    *
    Athanasius tastete sich an der Wand entlang und zählte die Nischen. Schließlich steckte er die Hand in eine davon und fand den glatten Kasten.
    Er hob ihn heraus und stellte ihn auf den Boden. Mit den Fingern suchte er nach dem Schloss.
    Er fand es.
    Und er öffnete den Kasten.
    Dann spürte er den kalten Schiefer darin. Seine Finger zitterten und strichen über das eingravierte Tau. Schließlich öffnete er das Buch.
    *
    In der Bibliothek war kein Alarm zu hören, doch alle wussten, was los war, als sie den rot gewandeten Wächter mit der Hand im Ärmel durch die Gänge eilen sahen.
    Es gehörte zur Standardprozedur in solch einem Fall, dass alle zum Ausgang gehen und darauf warten sollten, bis die Bibliothek wieder freigegeben wurde. Also klappten die Gelehrten automatisch die Bücher zu, mit denen sie gerade arbeiteten, und schauten dem Licht des Wächters hinterher, das in den Tiefen der Bibliothek verschwand. Vater Thomas war einer dieser Beobachter. Er stand neben Ponti und schaute schweigend zu, wie der Wächter durch das Mittelalter-Gewölbe und zu den antiken Texten lief.
    »Ärger?«, fragte Ponti. Offenbar roch er, was los war.
    »Möglicherweise«, antwortete Vater Thomas. In der Ferne sah er, wie der Wächter den Arm hob und sich das Nachtsichtgerät aufsetzte. Dann verlosch sein Licht.

K APITEL 106
    Liv schaute auf den pixeligen grünen Kreis auf dem Monitor. Die Auflösung war zu niedrig, als dass man Einzelheiten hätte erkennen können, aber sie konnte sich die Büsche und Bäume auch so vorstellen.
    »Eines der großen historischen Mysterien der Zitadelle«, sagte Oscar, und seine Stimme hallte durch den stillen Raum, »war stets, wie sie jahrelange Belagerungen ohne Nahrung überleben konnten.
    Ich habe mein erstes Jahr dort als Gärtnerlehrling verbracht. Ich habe gesät, gepflanzt und geerntet. Und zu meinen Aufgaben gehörte auch das Bewässern der Pflanzen. Das Wasser dafür kam aus großen Zisternen, in denen das Regenwasser gesammelt wurde. Manchmal sammelten sich Sedimente darin an, wenn es durch die Kanäle floss, sodass man glauben konnte, man wässere die Erde mit Blut.
    Aber wie auch immer, die Erde war unglaublich fruchtbar. Dort wuchs einfach alles, und das, obwohl der Garten in einem Krater liegt, wo fast ständig Schatten herrscht. Einmal habe ich beim Mähen eine alte Harke gefunden, die halb im Boden vergraben war. Keime sprossen aus ihrem Stiel.« Er griff wieder nach der Tastatur. »Dieser

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