Sanctus
Feuerwehr ist zum Haus des international anerkannten Zeitungsverlegers Rawls Baker gerufen worden. Berichten zufolge hat man ihn verbrannt am Steuer seines Fahrzeuges gefunden.«
»O mein Gott«, sagte Liv. »Das ist mein Boss.«
Nun war ein Wohngebiet voller Feuerwehrautos und Krankenwagen zu sehen. Gelbes Polizeiabsperrband flatterte im Vordergrund und hielt die Schaulustigen zurück, während in der Ferne Feuerwehrmänner, Polizisten und Sanitäter sich um das qualmende Wrack eines Autos drängten.
»Haben Sie ihn angerufen?«, fragte Gabriel.
Liv nickte.
»Wann?«
Sie schüttelte den Kopf und versuchte, sich zu erinnern. »Früher am Tag«, sagte sie.
»Und haben Sie sonst noch jemanden angerufen?«
Liv dachte nach und ging den ganzen Morgen noch einmal durch. Bis sie den Cops entkommen war, hatte sie niemanden angerufen. Dann hatte sie mit ihrem Boss telefoniert und ...
Sie wirbelte zu Kathryn herum. »Ich habe Sie angerufen«, sagte sie.
Gabriel sprang zu seiner Mutter. »Gib mir dein Handy«, forderte er sie auf.
Kathryn holte es aus der Tasche und gab es ihm. Er überprüfte die Anruferliste und sah den Zeitpunkt von Livs Anruf. Dann schaltete er es aus und schaute zu Liv. »Wir müssen von hier verschwinden«, sagte er. »Offenbar konnten sie nicht nur Ihr Handy orten, sondern auch Ihre Telefonate zurückverfolgen. Jeder, mit dem Sie gesprochen haben, schwebt in großer Gefahr.«
Liv schaute wieder zum Fernseher. Erneut erschien ein Foto von Rawls auf dem Bildschirm. Es zeigte ihn vor der Redaktion des Inquirer , und er strahlte von einem Ohr bis zum anderen. Liv konnte einfach nicht glauben, dass er tot war, und das nur, weil sie mit ihm gesprochen hatte. Sie konnte sich noch nicht einmal daran erinnern, worüber sie genau gesprochen hatten. Dann senkte sie den Blick, sah die verschmierte Telefonnummer auf ihrer Hand, und ihr fiel ein, dass sie mit noch jemandem telefoniert hatte.
K APITEL 112
Bonnie war gerade oben und brachte die Zwillinge ins Bett, als sie ein Klopfen an der Haustür hörte. Sie machte keinerlei Anstalten, sie zu öffnen. Myron war unten und kochte. Er würde ihr schon Bescheid sagen, wenn es für sie sein sollte.
Bonnie lächelte die beiden winzigen Gesichter an, die sie aus den weichen weißen Decken anschauten, und drückte einen Knopf neben der Doppelwiege. Daraufhin begann sich ein Mobile zu drehen, und schwarz-weiße Formen tanzten zu den Geräuschen einer Brandung und Möwengeschrei. Eines der Babys lächelte – oder zumindest sah es so aus –, und Bonnie strahlte. Zum Teufel mit allen, die behaupteten, Babys konnten das in dem Alter noch nicht.
Dann klingelte Bonnies Handy im Schlafzimmer nebenan und riss sie aus ihren Gedanken. Seit Myron per GroupMail die Ankunft von Ella – sechs Pfund, zwanzig Gramm – und Nathan – zehn Gramm schwerer und eine Minute jünger – verkündet hatte, klingelte es andauernd. Bonnie warf einen letzten Blick auf ihre Babys, verließ dann den Raum und regelte das Licht herunter.
Bonnie betrat das Schlafzimmer und ging vorsichtig zu ihrem Handy, das gerade auf dem Nachttisch aufgeladen wurde. Sie war noch immer von der Geburt geschwächt. Sie nahm es und schaute aufs Display. Die Nummer war unterdrückt. Bonnie wollte es gerade wieder hinlegen und der Mailbox die Arbeit überlassen, als sie sich an Livs Nachricht erinnerte. Das könnte der neue Reporter sein. Bonnie hatte so gut wie jedem, den sie kannte, erzählt, dass ihre Babys in die Zeitung kommen würden, und sie wollte verdammt sein, wenn sie gelogen hatte. Also nahm sie den Anruf an. »Hallo?«
»Bonnie!« Die Stimme klang angespannt.
»Wer ist da?«
»Ich bin es. Liv. Liv Adamsen. Die Reporterin vom Inquirer . Hören Sie zu: Sie müssen sich Myron und die Kinder schnappen und machen, dass Sie da wegkommen.«
»Wie bitte?«, fragte Bonnie mit professioneller Ruhe. Dann hörte sie unten ein Geräusch. Es klang, als sei etwas Schweres, Weiches im Flur umgefallen. »Warten Sie mal eine Sekunde«, sagte sie und wollte das Handy weglegen.
»Nein!«, schrie Liv. »Gehen Sie nicht. Haben Sie eine Waffe?«
Die Frage kam so unerwartet, dass Bonnie unwillkürlich erstarrte. Von unten kamen weitere Geräusche. Das Klicken einer Tür, die sich leise schloss. Dann wurde irgendetwas über den Fußboden geschleift. Keine Stimmen. Und keine Schritte in Richtung Küche, um dort das Essen vorzubereiten. Bonnie lief ein Schauder über den Rücken.
Dann folgte ein weiteres Geräusch,
Weitere Kostenlose Bücher