Sanctus
erkannte, dass er wirklich da war.
Liv schaute zu dem Tau. Das Blut an den Dornen war nun der einzige Hinweis darauf, dass sie je dort gewesen war. Liv folgte dem Fluss des Blutes zum Boden und zu den Kanälen, wo es sich mit ihrem mischte. Dann sah sie, wie sich eine Gestalt hinter dem eisernen Kreuz erhob. Sein Leib war voller Blut, und im schwachen Licht der Kerzen sah er wie ein Dämon aus. Er hob eine brennende Fackel, und die Flammen warfen ein höllisches Licht auf sein vor Hass verzerrtes Gesicht. Gabriel bemerkte eine Bewegung und drehte sich um, doch die schwere Fackel raste bereits herab und zielte auf seinen Kopf. Plötzlich ließ ein Donnern den Raum erbeben und warf den Dämon zum Altar zurück.
Liv schaute zum Eingang, von wo das Geräusch gekommen war. Ein schmächtiger Mönch stand in der Tür. Er hielt eine Pistole in der Hand, und von Livs Standort aus sah es im Kerzenlicht so aus, als trage er einen Heiligenschein.
*
Athanasius schaute auf das Gemetzel, das er entdeckt hatte. Der Schuss hatte den Abt auf die bösartigen Dornen in dem leeren Sarkophag geworfen, der den hinteren Teil des Raums beherrschte. Athanasius trat in den Raum, die Waffe noch immer auf die blutüberströmte Gestalt seines ehemaligen Herrn gerichtet. Doch der Abt rührte sich nicht mehr.
Athanasius schaute auf die anderen beiden Gestalten, einen Mann und eine Frau. Beide blickten ihn misstrauisch an. Er senkte die Waffe und trat auf sie zu. Der Mann trug eine Soutane, doch Athanasius erkannte ihn nicht. Er hatte eine Schnittwunde an der Seite und eine weitere am Arm – jedenfalls dem Blut nach zu urteilen, das den Ärmel tränkte.
Die junge Frau war wesentlich schlimmer dran. Sie hatte eine tiefe Schnittwunde am Hals, aus der noch immer Blut auf den Boden floss und in die Kanäle, die in den Fels eingelassen waren. Athanasius bückte sich, um sich die Wunden genauer anzusehen. Dann erstarrte er, als das Fleisch sich zu schließen begann. Schweigend staunte er ob des Wunders, das er hier sah. Binnen weniger Augenblicke war aus dem Strom von Blut ein Rinnsal geworden; dann hörte das Bluten gänzlich auf. Athanasius schaute in das Gesicht der jungen Frau, sah etwas Zeitloses in ihren Augen und erinnerte sich an die Worte, die er in der Ketzerbibel gelesen hatte.
Das Licht Gottes, in Dunkelheit versiegelt.
Er streckte die Hand aus, um ihr Gesicht zu berühren, doch ein Geräusch am Altar ließ ihn herumwirbeln.
Der Abt hatte seine Position verändert. Alle drei schauten sie zu, wie er träge den Kopf drehte, bis er Athanasius in die Augen schauen konnte. Die Fackel lag dort, wo er sie hatte fallen lassen, und die Flamme leckte an seiner Soutane und hüllte ihn in Rauch. »Warum?«, fragte er, und Verwirrung und Enttäuschung zeigten sich auf seinem Gesicht. »Warum hast du mich verraten? Warum hast du deinen Gott verraten?«
Athanasius schaute auf das Foltergerät im Tau und die Ketten am Querbalken.
Kein geheiligter Berg, sondern ein verfluchtes Gefängnis.
Dann schaute er wieder zu der jungen Frau, deren schlanker Hals nun vollends verheilt war, und ihre endlos grünen Augen brannten förmlich vor Leben.
»Nein«, sagte Athanasius und lächelte die wundersame Frau an, »ich habe meinen Gott nicht verraten. Ich habe Sie gerettet.«
T EIL VII
U ND ER SAH DIE E INE , WIE ER AUF DER E RDE WANDELTE .
A LTERSLOS UND NIE VERWELKEND .
U ND ER WURDE EIFERSÜCHTIG .
E R NEIDETE IHR IHRE M ACHT UND WOLLTE SIE BESITZEN ,
E R GLAUBTE , WENN ER DIE E INE FING ,
W ÜRDE ER DAS G EHEIMNIS DES EWIGEN L EBENS ERFAHREN UND SICH ZU EIGEN MACHEN .
S O BEGANN ER , EINE G ESCHICHTE GEGEN DIE E INE ZU ERZÄHLEN , DIE ER ›E VA ‹ NANNTE ,
U ND ES WAR EINE FALSCHE G ESCHICHTE , AUF DASS ALLE SICH GEGEN SIE WENDEN MOCHTEN .
D IE G ESCHICHTE ERZÄHLTE , WIE AM A NBEGINN EIN M ANN GEWESEN WAR ,
E IN M ANN IHR GLEICHGESTELLT , JA GRÖSSER GAR ,
E IN M ANN MIT N AMEN A DAM .
U ND A DAM WAR ALS G OTT IM G ARTEN DER E RDE GEWANDELT
U ND HATTE DAS L EBEN BLÜHEN LASSEN WIE AUCH E VA .
U ND DIE G ESCHICHTE ERZÄHLTE , WIE E VA EIFERSÜCHTIG WURDE .
S IE HASSTE SEINEN RAUEN L EIB UND DAS H AAR DARAUF ,
U ND SIE GLAUBTE , ER SEI DEN T IEREN NÄHER ALS DEM G ÖTTLICHEN .
S O LIESS SIE EINEN SELTSAMEN B AUM WACHSEN
U ND ÜBERZEUGTE IHN , VON DESSEN F RÜCHTEN ZU ESSEN .
S IE VERSPRACH , SO WÜRDE ER GROSSES UND MÄCHTIGES W ISSEN ERLANGEN .
D OCH DIE F RUCHT WAR VERGIFTET , UND SIE MACHTE IHN SCHWACH .
S IE BERAUBTE IHN SEINER GÖTTLICHEN K
Weitere Kostenlose Bücher