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Sanctus

Sanctus

Titel: Sanctus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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heutzutage in der Welt passierten: das Abschmelzen der Polkappen, tropisches Wetter in ehemals gemäßigten Zonen, bis dato unbekannte Flutwellen und Stürme, vergiftete Korallenriffe und jetzt auch noch verschwindende Bienen. Vermutlich hätten sie geglaubt, das Ende der Welt sei nah.
    Vor Kathryn auf dem Tisch lag der Bericht, den sie vom Beifahrersitz des Minibusses gerettet hatte. Er hatte ihre Laune nicht gerade gebessert. Sie hatte ihn nur halb lesen müssen, um zu wissen, dass die Kosten enorm sein würden. Vielleicht würde ja einfach noch ein kleines Stück dieser Welt sterben müssen. Kathryn schaute sich die mit Anmerkungen versehenen Diagramme und Tabellen zu Baukosten und Wachstumsrate der Bäume an, doch vor ihrem geistigen Auge sah sie noch immer die in Schiefer gravierten Symbole und die Gestalt des Mönchs, bevor er vom Gipfel gestürzt war.
    »Haben Sie die Nachrichten gesehen?«
    Erschrocken riss Kathryn den Kopf hoch und schaute in das frische Gesicht eines gertenschlanken Mädchens, das sie von der Tür her anstrahlte. Sie versuchte, sich an den Namen zu erinnern, doch in diesem Haus wechselte die Belegschaft so schnell, dass es ihr nicht wirklich gelingen wollte. Rachel vielleicht ... oder Rebecca ...? In jedem Fall studierte sie an einer englischen Universität und war für drei Monate hier auf Auslandsaufenthalt.
    »Ja«, antwortete Kathryn. »Ja, ich habe sie gesehen.«
    »Der Verkehr draußen ist mörderisch. Deshalb bin ich auch zu spät.«
    »Machen Sie sich deshalb keine Sorgen.« Kathryn winkte ab und wandte sich wieder ihrem Bericht zu. Die Nachrichten dieses Morgens, die ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen wollten, waren für die meisten Leute offenbar schlicht eine Unannehmlichkeit – etwas, worüber man staunte, plauderte und das man dann schnell wieder vergaß.
    »Hey, wollen Sie einen Kaffee?«, fragte das Mädchen.
    Kathryn schaute erneut in das sorglose Gesicht, und plötzlich fiel ihr der Name wieder ein. »Das wäre großartig, Becky«, sagte sie.
    Das Mädchen strahlte noch mehr. »Cool.« Dann wirbelte sie herum und rannte zur Küche.
    Die meiste Arbeit der Organisation wurde von Freiwilligen wie Becky erledigt: Menschen jeden Alters, die ehrenamtlich tätig waren, und das nicht aus religiösem Pflichtgefühl oder Nationalstolz, sondern weil sie diesen Planeten liebten und etwas für ihn tun wollten. Und das machte Kathryns Organisation: Sie brachte Wasser an vertrocknete Orte und pflanzte Korn und Bäume in Ländern, die vom Krieg verwüstet oder durch Industrieabfälle zerstört waren. Doch so hatte Ortus nicht angefangen; zu Anfang hatte die Organisation etwas ganz anderes gemacht.
    Kathryns Telefon klingelte.
    »Ortus. Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie so freundlich sie konnte.
    »Kathryn.« Oscars warme Stimme hallte in ihrem Ohr wider, und sofort fühlte sie sich besser.
    »Hey, Daddy«, sagte sie. »Wo warst du?«
    »Ich habe gebetet.«
    »Hast du es schon gehört?« Kathryn wusste nicht so recht, wie sie es formulieren sollte. »Hast du gehört, dass er ... dass der Mönch ...?«
    »Ja«, entgegnete ihr Vater, »ich habe es gehört.«
    Kathryn schluckte und versuchte, ihre Gefühle im Zaum zu halten.
    »Verzweifele nicht«, sagte ihr Vater. »Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben.«
    »Aber wie denn?« Kathryn schaute zur Tür und senkte die Stimme. »Die Prophezeiung kann nicht länger erfüllt werden. Wie soll das Kreuz sich denn wieder erheben?«
    Das Knistern der transatlantischen Leitung war das Einzige, was in den nächsten Sekunden zu hören war.
    »Menschen sind auch schon vom Tod wiederauferstanden«, sagte Oscar schließlich. »Schau mal in die Bibel.«
    »Die Bibel ist voller Lügen. Das hast du mich gelehrt.«
    »Nein, das habe ich dich nicht gelehrt. Ich habe dir von spezifischen und absichtlich eingefügten Ungenauigkeiten erzählt. Auch in der offiziellen Bibel steht noch viel Wahres.«
    Erneut kehrte kurz Schweigen ein.
    Kathryn wollte ihrem Vater glauben; das wollte sie wirklich. Doch tief in ihrem Herzen glaubte sie, weiter die Hoffnung zu hegen, alles würde gut, sei nichts anderes als die Augen zu schließen und die Finger zu kreuzen.
    »Glaubst du wirklich, dass das Kreuz sich wieder erheben wird?«
    »Das könnte durchaus sein«, antwortete ihr Vater. »Aber ich gebe zu, es ist schwer, das zu glauben. Doch wenn du mir gestern gesagt hättest, ein Sanctus würde aus dem Nichts erscheinen, auf die Spitze der Zitadelle klettern und das

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