Sanctus
dann war er an der Reihe. Er sprang auf und war schon fast im Beichtstuhl, bevor sein Vorgänger ihn ganz verlassen hatte. Dann riss der Mann den Vorhang hinter sich zu und setzte sich.
Im Beichtstuhl war es eng und dunkel, und es roch nach Weihrauch, Schweiß und Angst. Zu seiner Rechten befand sich nicht ganz in Kopfhöhe ein kleines Gitter in der Holzwand.
»Hast du etwas zu beichten, mein Sohn?«, fragte eine leise Stimme.
»Vielleicht«, antwortete der Mann. »Sind Sie Bruder Peacock?«
»Nein«, antwortete die Stimme. »Bitte, warten Sie.«
Wer auch immer sich auf der anderen Seite des Gitters befand, stand auf und ging.
Der Mann wartete und lauschte dem Raunen der Touristen und dem Klicken der Kameras. Er fühlte sich an einen Insektenschwarm erinnert. Dann hörte er Bewegung auf der anderen Seite des Gitters.
»Ich bin der Gesandte von Bruder Peacock«, verkündete eine tiefe Stimme.
Der Mann beugte sich vor. »Bitte, vergebt mir, Vater, denn ich habe gesündigt.«
»Und was hast du zu beichten, mein Sohn?«
»Ich habe etwas von meinem Arbeitsplatz genommen, etwas, das mir nicht gehört, etwas, von dem ich glaube, dass es einen Ihrer Brüder betrifft.«
»Und hast du dieses Etwas bei dir?«
Eine blasse, fleckige Hand zog einen weißen Umschlag aus der Innentasche.
»Ja, das habe ich«, sagte der Mann.
»Gut. Du weißt doch, was der Zweck der Beichte ist, oder? Sünder, die das Haus Gottes betreten, sollen es frei von jeder Last wieder verlassen.«
Der Mann lächelte. »Ja, das weiß ich«, sagte er.
»Deine Sünde wiegt nicht schwer. Wenn du dein Haupt vor Gott neigst, wirst du die Vergebung finden, nach der du suchst.«
Unterhalb des Gitters wurde eine Klappe geöffnet. Der Mann schob den Umschlag hindurch. Dann folgte eine kurze Pause. Der Mann hörte, wie der Umschlag geöffnet und inspiziert wurde.
»Ist das alles, was du genommen hast?«
»Das ist alles, was es vor einer Stunde zu nehmen gab.«
»Gut. Wie gesagt, deine Sünde wiegt nicht schwer. Ich segne dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Deine Sünden sind dir vergeben – vorausgesetzt, du bleibst ein Freund der Kirche. Beuge dein Haupt noch mal vor Gott, und er wird seinen treuen Diener belohnen.«
Der Mann sah, wie ein anderer Umschlag durch den Schlitz geschoben wurde. Er nahm ihn. Die Klappe wurde geschlossen, und wer auch immer auf der anderen Seite gesessen hatte, verschwand so schnell wie er gekommen war. In dem Umschlag befand sich ein dickes Bündel nicht unterschriebener Travellerschecks im Wert von je hundert Dollar. So wurde der Mann immer bezahlt, und er lächelte. Würde man ihn damit erwischen, konnte er immer noch behaupten, ein Tourist habe sie liegen lassen und er sie gefunden. Auch konnte man Travellerschecks nicht nachverfolgen, und das war auch gut so, denn vermutlich waren sie mit einem falschen Ausweis in einer der Wechselstuben der Altstadt gekauft.
Der Mann steckte den Umschlag ein, schlüpfte aus dem Beichtstuhl und eilte an den Beichtwilligen und den Touristen vorbei hinaus.
K APITEL 34
Fünf Minuten, nachdem Bruder Peacocks Gesandter dem Mann mit den fleckigen Händen die Absolution erteilt hatte, wurde der Umschlag neben zwölf toten Hühnern und acht Pfund Schinken in einen Korb am Fuß der Tributmauer auf der schattigen Nordseite des Bergs gelegt und anschließend an einem Seil nach oben gezogen.
Athanasius wischte sich den Schweiß von der Glatze, während er beobachtete, wie die Brüder, die in der Küche arbeiteten, die Winde bedienten. Dann fischte er rasch den Umschlag aus dem Korb, bevor er mit dem Rest des Inhalts im Kochtopf landen konnte. Er hatte durch einen beinah einen Kilometer langem Gang laufen müssen, um ins Tributgewölbe zu gelangen. Nun, da er den Umschlag hatte, machte er müde kehrt und stiefelte wieder in die prachtvollen Privatgemächer des Abts zurück.
Als sich die vergoldete Tür schließlich hinter ihm schloss, war er außer Atem. Der Abt schnappte ihm den Umschlag weg und riss ihn auf. Er gierte danach zu sehen, was sich darin befand. Er lief zum Schreibtisch unter dem großen Buntglasfenster, klappte ihn auf, und ein hochmoderner Laptop kam darunter zum Vorschein.
Ein paar Klicks später öffnete der Abt die Falldatei, die Inspektor Arkadian vor weniger als einer Stunde geschlossen hatte. Das Gesicht von Bruder Samuel war da zu sehen, bleich und unheimlich im grellen Licht des Autopsiesaales. »Für so einen Sturz sieht der Körper noch
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