Sanctus
bemerkenswert unversehrt aus«, bemerkte er und scrollte die ersten Bilder durch.
Athanasius zuckte unwillkürlich zusammen, als er die Rippen aus dem zerschmetterten Leib seines ehemaligen Freundes ragen sah. Dann öffnete der Abt ein Textdokument und begann zu lesen. Als er die letzten Zeilen erreichte, knirschte er mit den Zähnen.
Wer auch immer der Mann gewesen sein mag , stand dort zu lesen, er hat sich den Zeitpunkt seines Sprungs genau ausgesucht. Er hat gewartet, bis genügend Zeugen anwesend waren, und seinen Fall dann so gesteuert, dass er auf Stadtgebiet gelandet ist. War die Wacht, die er dort oben gehalten hat, irgendeine Art von Signal? Und falls ja, wem hat er etwas signalisiert? Und welche Botschaft versuchte er zu übermitteln?
Der Abt folgte dem Gedankengang des Inspektors, der ihn verbotenem Gebiet gefährlich nahe brachte.
»Ich möchte, dass die Quelle, die uns das hier gegeben hat, uns weiter auf dem Laufenden hält.« Der Abt schloss die Datei wieder und öffnete einen Ordner mit der Beschriftung ›Weitere Beweismittel‹ . »Ich will über jede neue Entdeckung und jede neue Entwicklung sofort informiert werden.«
Er öffnete einen Bildordner und schaute sich eine Slideshow von Nahaufnahmen der Untersuchung an: das Seil, die blutdurchtränkte Soutane, Steinsplitter aus Händen und Füßen des Mönchs, ein Stück Leder in einer Nierenschale ...
»Und benachrichtige den Prälaten«, sagte der Abt in finsterem Ton. »Sag ihm, ich brauche eine Privataudienz, sobald Seine Heiligkeit wieder genügend Kraft hat, sie mir zu gewähren.«
Athanasius wusste nicht, was den Abt so beunruhigte, aber seine Sorge war ihm deutlich anzuhören.
»Wie du wünschst«, sagte er, verneigte sich und verließ leise den Raum.
Der Abt starrte weiter auf das letzte Bild, bis er hörte, dass die Tür sich hinter Athanasius schloss. Dann griff er in seine Soutane und zog das Lederband hervor, das er um den Hals trug. Zwei Schlüssel baumelten daran, ein großer und ein kleiner. Der Abt bückte sich zur untersten Schreibtischschublade und steckte den kleineren Schlüssel ins Schloss. Ein Handy befand sich darin. Der Abt schaltete es ein und schaute noch einmal auf das Bild aus der Datei.
Dann tippte er die Zahlenfolge ins Handy und rief an.
K APITEL 35
Wie zehntausend andere Menschen auch fuhr Liv langsam über die I-95 wieder zurück, als ihr Handy plötzlich zu vibrieren begann.
Sie schaute aufs Display. Die Nummer des Anrufers war unterdrückt. Liv warf das Handy auf den Beifahrersitz und konzentrierte sich wieder auf den zähflüssigen Verkehr. Das Handy summte noch ein paar Mal und verstummte dann. Liv hatte das Gefühl, schon seit Wochen wach zu sein, und so wollte sie jetzt einfach nur nach Hause und ins Bett.
Fast sofort begann das Summen erneut. Wer auch immer das war, er musste auf Wahlwiederholung gedrückt haben, kaum dass der Anrufbeantworter angesprungen war. Liv schaute auf den Fluss von Rücklichtern, der sich vor ihr in die Ferne schlängelte. Offensichtlich ging ohnehin nichts voran; also fuhr sie auf den Seitenstreifen, zog die Handbremse an, schaltete den Motor aus und aktivierte die Warnblinkanlage.
Dann schnappte sie sich ihr Handy und nahm ab.
»Hallo?«
»Hallo.« Die Stimme am anderen Ende der Leitung war männlich, unbekannt und hatte einen Hauch von Akzent. »Mit wem spreche ich, bitte?«
Bei Liv läuteten die Alarmglocken. »Wen wollen Sie denn erreichen?«
Es folgte eine kurze Pause.
»Da bin ich mir nicht sicher«, antwortete die Stimme. »Mein Name ist Arkadian. Ich bin Polizeiinspektor und versuche, einen Mann zu identifizieren, bei dem man diese Telefonnummer gefunden hat.«
Liv analysierte die Antwort mit ihrem Journalistenverstand und wog jedes ihrer Wort genauestens ab. »Zu welcher Abteilung gehören Sie?«
»Zur Mordkommission.«
»Dann nehme ich an, Sie haben entweder einen Täter, der nicht reden will , oder ein Opfer, das nicht reden kann .«
»Genau.«
»Und? Täter oder Opfer?«
Wieder hielt der Mann kurz inne. »Ich habe hier eine nicht identifizierte Leiche. Offenbar handelt es sich um einen Selbstmord.«
Livs Herz setzte einen Schlag lang aus. Im Geiste ging sie die Liste der Männer durch, die diese Nummer hatten.
Da war Michael, ihr Exfreund, auch wenn der ihr nie als der typische Selbstmörder erschienen war. Und da war ihr alter Collegeprofessor, aber der war mit seiner neuen Freundin in Urlaub, und die war zwanzig Jahre jünger als er, also
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