Sanctus
Mönchs noch einmal genau an, seltsame Linien und Kreuze, die zusammen ein einziges großes Fragezeichen darstellten.
Seit der Autopsie hatte sich das Mysterium um die Identität des Mönchs sogar noch vergrößert. Die Zitadelle hatte noch immer keine Ansprüche angemeldet, und die üblichen Methoden zur Identifizierung eines Toten hatten bisher keinerlei Ergebnisse gezeigt. Seine Fingerabdrücke waren nirgends registriert. Gleiches galt für sein Zahnbild. Seine DNA wurde zwar noch mit den Datenbanken abgeglichen, aber falls der Tote nicht zufälligerweise wegen einer Sexualstraftat, als Mörder oder als Terrorverdächtiger registriert sein sollte, dann nützte das gar nichts. Und Arkadians Boss machte allmählich Druck. Er wollte Ergebnisse sehen und den Fall erledigt wissen. Arkadian wollte das natürlich auch, aber er würde dafür nichts unter den Teppich kehren. Der Mönch gehörte zu jemandem. Jetzt war es Arkadians Job, herauszufinden zu wem.
Arkadian schaute zur Uhr an der Wand. Es war kurz nach eins. Seine Frau war bestimmt schon aus der Schule zurück, wo sie drei Tage die Woche als Aushilfslehrerin arbeitete. Arkadian wählte seine eigene Nummer, wartete und öffnete dabei das Browserfenster.
Nach dem dritten Klingeln nahm seine Frau ab. Sie klang außer Atem.
»Ich bin’s«, sagte Arkadian und gab Religion und Narben ins Suchfeld von Google ein.
»Heeey«, erwiderte sie und zog das Wort auf eine Art in die Länge, die Arkadian selbst nach zwölf Jahren noch immer faszinierte. »Kommst du bald nach Hause?«
Arkadian runzelte die Stirn, als die Suchergebnisse kamen. 31 400 Treffer?
»Noch nicht«, antwortete er und scrollte durch die erste Seite.
»Warum rufst du dann an und machst mir Hoffnung?«
»Ich wollte einfach nur deine Stimme hören. Wie war es auf der Arbeit?«
»Anstrengend. Versuch du mal, einer Horde Neunjähriger Englisch beizubringen. Ich habe ihnen gefühlte hundert Mal The Very Hungry Caterpillar vorgelesen. Zum Schluss war da aber ein Kind, das den Text sogar besser lesen konnte wie ich.«
Ihr Tonfall verriet Arkadian, dass sie lächelte. Es machte seine Frau schlicht glücklich, wenn sie den Morgen in einem Raum voller Kinder verbracht hatte.
»Klingt mir nach einem kleinen Streber«, sagte Arkadian. »Vielleicht sollte er das nächste Mal ja der Klasse vorlesen. Mal sehen, wie gut er unter Druck ist.«
»Es war ein Mädchen. Mädchen sind klüger als Jungen.«
Arkadian lächelte. »Jaja, und zum Schluss heiratet ihr uns dann trotzdem. So klug könnt ihr also gar nicht sein.«
»Aber dann lassen wir uns von euch scheiden und ziehen euch das Geld aus der Tasche.«
»Ich habe aber kein Geld.«
»Oh ... Dann bist du wohl auf der sicheren Seite.«
Arkadian klickte auf einen Link und scrollte durch Bilder von irgendwelchen Eingeborenen, die sich Muster ins Fleisch geschnitten hatten; doch keines dieser Narbenmuster entsprach dem des Mönchs.
»Und? An was für einem Fall arbeitest du gerade?«, fragte seine Frau. »Ist es ekelig?«
»Es geht um den Mönch.«
»Hast du schon herausgefunden, wer er ist, oder darfst du das nicht sagen?«
»Ich kann es dir nicht sagen, weil ich es nicht weiß.« Arkadian kehrte wieder zu den Suchergebnissen zurück und öffnete einen Link, der sich mit Stigmata beschäftigte, dem unerklärlichen Phänomen, dass manche Menschen urplötzlich die gleichen Wunden aufwiesen wie der gekreuzigte Christus.
»Dann kommst du also später, ja?«
»Das kann ich noch nicht sagen. Die da oben wollen, dass der Fall so schnell wie möglich vom Tisch kommt.«
»Das heißt ›Ja‹.«
»Das heißt ›vermutlich‹.«
»Wie auch immer ... Sei einfach vorsichtig.«
»Ich sitze an meinem Schreibtisch und klicke mich durch Google.«
»Dann komm nach Hause.«
»Das tue ich doch immer.«
»Ich liebe dich.«
»Ich dich auch«, flüsterte er.
Arkadian ließ seinen Blick durch das geschäftige Großraumbüro schweifen. Die meisten Leute hier waren entweder schon geschieden oder standen kurz davor, aber er wusste, dass ihm das nie passieren würde. Er war mit seiner Frau verheiratet, nicht mit seiner Arbeit, und obwohl er wusste, dass er so nie an die sexy Fälle kommen würde, mit denen man sich eine Karriere aufbaute, machte ihm das nichts aus. Er hätte nie mit einem dieser Karrierehengste getauscht. Außerdem hatte dieser Selbstmordfall irgendwie etwas Besonderes.
Willkürlich klickte sich Arkadian durch die Stigmata-Seite und begann zu lesen.
Die
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