Sanctus
des Medikamentenschranks. Sein kurz geschorener Kopf war voller Schweiß und schimmerte im Licht der OP-Lampen, während seine tief liegenden Augen in den Schatten verschwanden. Er sah wie ein Totenkopf aus, dachte Kutlar, und schauderte.
Kutlar lag auf der linken Seite, während ein fetter Kerl in weißem Kittel und mit grauer Haut nach dem zweiten Teil der Kugel suchte. Gelegentlich spürte Kutlar ein Ziehen, und er hörte ein feuchtes Reißen, das ihm den Magen umdrehte, aber er kämpfte gegen die Übelkeit an und zwang sich, gleichmäßig zu atmen. Um sich abzulenken, konzentrierte er sich auf das Poster eines glücklich sabbernden Labradors an der gegenüberliegenden Wand.
Kutlar hatte von einem Bekannten von dieser Klinik erfahren, die sich unter anderem auch auf den Im- und Export verschiedener Produkte spezialisiert hatte, die man in anderen Krankenhäusern nur schwer bekam, wenn überhaupt. Der Bekannte hatte Kutlar erzählt, man sei hier mit Schmerzmitteln nicht geizig ... vorausgesetzt, sie seien ›vom Lastwagen gefallen‹.
Dann verriet ein Klimpern, dass auch der zweite Teil der Kugel den Weg in die Schale gefunden hatte.
»Damit hätten wir wohl alles«, verkündete der fette Kerl in einem Tonfall, der auch zu einem Unternehmensberater gepasst hätte. »Ich muss die Wunde jetzt nur noch ausspülen. Dann kann ich die Venen kleben und nähen.«
Kutlar nickte und biss die Zähne zusammen. Der Arzt griff nach einer klaren Plastikflasche mit kleiner Öffnung und drückte sie mit seiner teigigen Hand, bis die Salzlösung in das rote Loch strömte. Kutlar schauderte. Er war noch immer nass vom Regen. Dank seiner feuchten Kleider und dem Blutverlust war ihm eiskalt, und der posttraumatische Stress half auch nicht gerade. Kutlar schaute wieder zu dem Poster mit dem glücklichen Hund, erkannte, dass das Tier gerade eine Wurmkur bekam, und ihm wurde übel.
Kutlar dachte an den Überfall auf der Straße zurück. Was war da nur schiefgelaufen? Sie hatten die ersten zwei Kerle am Autoverleih im Hauptflughafen abgesetzt; dann war Kutlar mit seinem Cousin Serko zum anderen Flughafen gefahren, um dort den dürren Latino zum Nachtflug in die Staaten zu bringen.
Anschließend hatten sie den dunkelhaarigen Typ im Trenchcoat gesehen. Er wartete am Zoll und hielt ein Schild mit dem Namen der jungen Frau in die Höhe. Er sah wie ein Polizist aus, aber er war allein. Kutlar und Serko hatten sich zurückgehalten und gewartet, bis die junge Frau mit einer halb vollen Maschine aus London gekommen war. Kutlar hatte hin und her überlegt und war schließlich zu dem Schluss gekommen, dass es ihnen wohl einen netten Bonus einbringen würde, wenn sie den Kerl ausschalten und die Frau selbst abliefern würden. Also waren sie den beiden nach draußen gefolgt. Fast hätten sie sich die Frau vom Bordstein schnappen können, als sie für eine Zigarette allein zurückgeblieben war; doch da waren zwei Sicherheitsmänner gewesen, die Landstreicher von einer Bushaltestelle vertrieben hatten. Also hatten Kutlar und sein Cousin gewartet und waren den beiden im Van gefolgt. Schließlich hatten sie sich dann zu dem Überfall auf der Nebenstraße entschlossen.
Der Plan war einfach gewesen. Kutlar hatte sich um den Kerl kümmern sollen, während Serko die Frau in den Van gebracht hätte. Alles ganz einfach. Nur dass der Fahrer so schnell aus der Karre gekommen war, dass Kutlar nach hinten geworfen worden war und seine Waffe hatte fallen lassen. Als er sich schließlich wieder erholt hatte, war ein Schuss gefallen. Kutlar hatte sich auf den Mann gestürzt und ihm die Waffe aus der Hand getreten. Dann war er in den Van gesprungen und davongerast. Nur war die Frau nicht drin gewesen ... und auch nicht Serko. Kutlar hatte in den Rückspiegel geschaut und etwas auf der Straße liegen sehen. Sofort hatte er das Steuer herumgerissen und war zurückgefahren, bis Kugeln die Wagenseite durchsiebt und eine Scheibe zum Bersten gebracht hatten. Kutlar hatte erst bemerkt, dass auch er selbst getroffen worden war, als er versucht hatte, die Bremsen zu betätigen, und sein Bein sich nicht bewegen wollte. Zurückzufahren wäre Selbstmord gewesen. Er hatte keine andere Wahl. Tote konnten keine Rechnung begleichen, Vetter hin oder her.
Im Wartezimmer klingelte ein Telefon. Kutlar wusste, wer das war. Er fragte sich, wie viel Zeit ihm wohl blieb, bis sie ihn gestellt hatten. In der Vergangenheit hatte er schon viele Jobs für die Kirche gemacht, aber meist
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