Sand & Blut
sein.
So konnte man sich ja ausrechnen, woher er das Geld hatte, um nach dem Krieg seine Sammlung aufzubauen. Die Sache war schnell entschieden, natürlich bekam er keinen Ehrendoktor, doch statt die Sammlung zurückzugeben, behielt die Universität sie einfach. Schwamm drüber, ab in den Giftschrank. Was wir haben, haben wir.
Über dreißig Jahre vergingen und die Sammlung und Hippels Anliegen gerieten in Vergessenheit. Vermutlich ließ man extra so viel Zeit verstreichen, damit niemand mehr die alten Sachen hervorzerren konnte. Aber nun war der Zeitpunkt gekommen, um einem schwächelnden Doktoranden damit auf die Sprünge zu helfen. Der Joker wurde ausgepackt.
Ich war der Erste, der sich daraus bediente. Die Sammlung war im alten Archivgebäude hinter der Bibliothek untergebracht. Standesgemäß im Keller hinter einer endlos langen Reihe grau-blauer Stahlschränke, die Manuskripte aus vier Jahrhunderten aufbewahrten. Mit einer Sondergenehmigung von Dr. Richter erhielt ich Zugang und schon am nächsten Tag saß ich vor einem riesigen Haufen Altpapier.
Als ich mich durch die alten Dokumente wühlte, erkannte ich, was für einen Schatz ich da vor mir liegen hatte. Der Berg an seltenen Zeugnissen, Notizen und sogar Originalbögen der ersten Ausgaben reichte nicht nur für eine mickrige Doktorarbeit, sondern sogar für eine ganze Habilitation. Mehr noch: Man konnte auf diesem Berg Altpapier eine akademische Karriere aufbauen, wenn man es richtig anstellte.
Plötzlich sah ich mehr als Licht am Ende des Tunnels. Ich sah nahezu eine ganze glänzende Zukunft vor mir durch die alten Dokumente schimmern wie einen ungehobenen Pott voll Gold. Es gab nur ein Problem. Das Material war völlig amateurhaft archiviert und dilettantisch erfasst. Ich würde Jahre brauchen, um aus den unsortierten Dokumenten die richtigen zu finden, die meiner Arbeit die nötige Glaubwürdigkeit verschaffen würden. Und plötzlich wurde mir klar, dass es ja nur um die verfluchte Doktorarbeit ging. Was hier vor mir lag, ließ die Doktorarbeit wie einen Abzählreim aussehen. Trotzdem löste das nicht das Problem, wie ich die Arbeit fertigstellen konnte.
Ich sprach mit Tanja darüber und sie empfahl mir, zwei oder besser drei Forschungsjahre zu beantragen. Also die Doktorarbeit verschieben, das Material sichten und dann erneut anfangen. Am nächsten Tag ging ich zum Lehrstuhl. Mein Prof hörte sich mein Anliegen an und nickte dann langsam.
»Sie können noch einige Jahre hier bleiben. Sie müssten erst mal weiter Proseminare und Tutorien machen, aber dann würde das schon gehen.«
Ich war erleichtert, aber etwas störte mich. Seine vormals offene Unterstützung mir gegenüber war einer gleichgültigen Zurückhaltung gewichen. Ich sah in seinem Blick, dass er das Interesse an mir verloren hatte. Er hatte mich erst mal abgeschrieben. Und ich musste ihm recht geben. Wer garantierte, dass ich nach einigen Jahren plötzlich mit einer Doktorarbeit auftauchte? Ich selbst wusste nicht mal, ob der ganze Haufen nicht zum größten Teil aus Wirtshausrechnungen und Pfandbriefen bestand. Als ich sah, wie er einige Papiere vor sich ordnete, die nach Flyereinladungen aussahen, noch während ich vor ihm saß und die Hände knetete, entschied ich mich für ein kleines Manöver. Ich erbat mir noch ein bisschen Bedenkzeit und er stimmte jovial zu.
Als ich sein Büro verließ, stolperte ich in einen jungen Mann, der gut fünf Jahre jünger war als ich. Unter dem Arm trug er eine Kladde, die ich nur allzu gut kannte. Tanja hatte auch so eine. Typisch für einen Doktoranden in seinen letzten Zügen. Ich wusste, dass ich immer noch ein Riesenproblem hatte. Ich war auf dem besten Weg, ein Universitätsgespenst zu werden. Das sind die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die schon seit Jahren mitgeschleift werden und für die man immer neue »Aufgaben« finden muss, während sie an ihrer Doktorarbeit basteln. Niemand traut sich, sie zu feuern, da man ja auch irgendwie selbst Schuld an der Situation ist, weil man die Leute nicht richtig betreut hat. Aber der Weg eines Universitätsgespensts ist vorgezeichnet. Die akademische Leiter führt nur nach unten. Man bekommt weniger Einladungen, muss die Seminare am Freitagnachmittag machen und wird zu immer mehr administrativen Aufgaben herangezogen. Irgendwann bestellt man dann die Getränke und schließt die Labore auf und zu.
Anstatt nach Hause zu Tanja zu fahren, fuhr ich in den Extrabau der Bibliothek, wo meine Sammlung
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