Sand & Blut
und zum Glück hatte ich die meisten Hippel-Blätter schon übertragen. Ich war fast fertig. Wenn ich Zuhause bei Tanja an meinem Text arbeitete, würde sie es gar nicht bemerken, woher ich meine Ergebnisse hatte. Dennoch wollte ich auf Nummer Sicher gehen und alle Dokumente vernichten. Ich raffte alles zusammen und wollte die Papiere auf einem abgelegenen Feldweg verbrennen. Als ich durch die sommerlichen Straßen lief, fiel mein Blick plötzlich auf den städtischen Friedhof. In einem Anfall von Sentimentalität, stieß ich das eiserne Tor auf und suchte Hippels Grab. Hippel war logischerweise ein vermögender Mann gewesen. Ich orientierte mich also an den großen Grabsteinen und musste eine Weile in der beginnenden Dämmerung die mächtigen Grabsteine abschreiten. Die Geschichte Bambergs zog an mir vorbei. Und irgendwann sah ich seinen Namen. Sein Grab war bescheidener, als ich vermutet hatte. Ein grober Findling anstatt eines Marmormonolithen, wie so viele ihn hatten. Es lag im Schatten einer Buche und schien nur nachlässig gepflegt zu werden. Ich beugte mich herab und versuchte, die Inschrift auf dem runden Stein zu entziffern.
Herrmann Hippel 1890-1975
Vom Herrgott gegeben und vom Herrgott genommen. Zur falschen Zeit gelebt. Fehler gemacht, aber im stetigen Versuch, zu erreichen, was nur möglich ist, mit eigener Kraft.
Mehr stand da nicht. Ich las die Inschrift erneut und kratzte mich verlegen am Kinn. Er war alt gestorben. Vermutlich einsam. Es gab keinen Hinweis auf eine Frau. Ich dachte an die Blätter in meiner Tasche und fühlte mich plötzlich ein bisschen schlecht.
Seine Früchte waren nun meine Zukunft. Was er mit Schweiß und Tränen zusammengetragen hatte, wollte ich nun verbrennen, damit mir keiner einen Strick draus drehen konnte. Ich revidierte meine Entscheidung. Wenn sie ihm wirklich so wichtig gewesen waren, wollte ich sie zumindest nicht zerstören, solange ich auf ihnen meine Zukunft aufbaute. Das war ich ihm schuldig.
Allerdings würde ich sie gut verstecken müssen. Ich kehrte zurück nach Hause und vergrub sie in der untersten Schublade meines Schreibtisches. Tanja hatte ihren eigenen und sie ging so gut wie nie an meine Sachen ran.
Während der nächsten Woche feilte ich an der Arbeit und arbeitete tatsächlich ohne Hippels Hilfe. Mit der Sicherheit, ein kleines Meisterwerk in der Mache zu haben, ging ich daran, das ganze Drumherum so sorgfältig wie möglich zu gestalten. Gliederung, Illustrationen, Schrift, sogar das Papier wählte ich so penibel wie möglich aus. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, die Arbeit mit teuren Fotos der Sammlung zu illustrieren.
Tanja ging es inzwischen besser, aber die Kritik an ihrer Arbeitsweise und der Zusammenbruch hatten ihr stark zugesetzt.
Sie hatte abgenommen und war blass um die Nasenspitze. Hager und sich nur von Kaffee ernährend, schleppte sie sich durch die Wohnung. Ihre Stationen waren die Kaffeemaschine, das Bett und der Schreibtisch.
Ihre Haare und ihre Haut litten unter diesem zerstörerischen Rhythmus, aber ich half ihr, wo ich konnte. Sie dankte es mir mit einem liebevollen Blick aus ihren müden Augen, in den sich stets auch etwas Verwunderung mischte, weil ich so locker blieb und plötzlich alles im Griff hatte.
Unsere Abgabetermine rückten näher und diesmal hatten wir die Rollen getauscht. Ich konnte es kaum erwarten, meine Arbeit zu präsentieren. Ich war mich sicher, dass es für ein Summa Cum Laude ausreichte. Mehr noch, ich hatte die Arbeit so geschickt frisiert, dass sie sich auf einige aktuelle Habilitationen bezog und wenn ich mir das richtig ausrechnete, musste man mir fast eine Habil in Aussicht stellen. Meine Laune wurde von Tag zu Tag besser.
Aber Tanja ging auf dem Zahnfleisch. Sie war völlig verunsichert und kurz vor der Abgabe verschob sie den Termin erneut um sechs Wochen. Ich sah aber, dass ihr die sechs Wochen nicht helfen würden. Wir mussten eine Entscheidung treffen und diesmal erinnerte ich mich an das Gespräch der beiden Studentinnen.
Gemeinsam gingen wir zu ihrem Psychotherapeuten und ich bat ihn darum, ihr ein stimulierendes Medikament zu verschreiben.
Ich sprach nicht aus, welches ich meinte, aber er verstand sofort. Ich wollte, dass er ihr Ritalin verschrieb. Es war das Wundermittel, wovon die Studentin geschwärmt hatte.
Dieser äußerst effektive Neuroenhancer senkt den Dopaminspiegel und erhöht so die Konzentration. Stundenlanges, hoch konzentriertes Arbeiten ist damit problemlos
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