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Sand & Blut

Sand & Blut

Titel: Sand & Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xander Morus , Isabell Schmitt-Egner
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immer am Küchentisch und starrte auf ihre Bögen. Manchmal schrieb sie nur ein paar Sätze. Manchmal gar nichts. Sie wirkte wie paralysiert. Ihr Rücken bog sich in einem buckligen Halbkreis über den Tisch und ihr Kinn stützte sich auf ihre abgekauten Fingernägel. Sie war ein Bild des Jammers und Elends. Sie tat mir furchtbar leid.
    Aber ich konnte nichts für sie tun. Das Einzige, womit ich sie entlasten konnte, war, dass ich nun nicht mehr ihre Hilfe brauchte. Aber das war fast noch schlimmer. Wenn ich mich abends an ihren Tisch setzte, sah sie mich mit rot geränderten Augen an und stieß verzweifelt aus: »Wie schaffst du das denn?«
    Ich konnte nur mit den Schultern zucken. Das frustrierte sie nur noch mehr. Sie begann, an sich zu zweifeln. Zerbrochene Stifte und zerkratzte Unterarme waren die Folge. Ich versuchte, sie zu stoppen, aber ich konnte nicht verhindern, dass sie sich nachts in den Schlaf heulte, während ich Facebook checkte. Ich wusste, dass ich etwas tun musste. Ich fing an, ihr zu erzählen, dass ich einfach Glück gehabt hatte und auf ein paar essenzielle Dokumente gestoßen war, die mir die Arbeit ungeheuer erleichterten. Das stimmte sogar, wenn man es genau nahm. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und schniefte vor sich hin.
    »Du Glücklicher. Aber das hast du verdient, weil du es vorher so schwer hattest!«
    Ich nickte stumm. Dann nahm ich sie in den Arm und ihre aufgekratzte Haut hinterließ kleine blutige Spuren auf meiner.
    »Und Tanja ist so blöd, dass sie das nicht schafft!«, fluchte sie und fing an, sich zu jucken. Ich versuchte, sie daran zu hindern, aber sie drückte meine Hand weg.
    »Tanja muss lernen, mal richtig zu arbeiten!«, fauchte sie und biss sich auf die Lippen.
    »Damit das dumme Stück endlich schafft, was sie schon seit Jahren ankündigt!« Sie steigerte sich richtig hinein.
    »Hey, weißt du, mach einfach mal eine Pause!«, tröstete ich sie und hielt sie ganz fest.
    »Davon schreibt sich die Doktorarbeit auch nicht!«, sagte sie und drehte sich heulend weg.
    Ich war ratlos.
    Meine Abschriften neigten sich dann dem Ende entgegen und in den drei Stunden, die ich mir täglich vornahm, gab es kaum noch etwas zu erledigen. Die Zeit tropfte vor sich hin wie zähflüssiger Sirup. Meine Doktorarbeit war so gut wie fertig. Ich ging immer öfter in die Cafeteria und las Zeitung. Ich konnte es mir nicht erlauben, zu schnell nach Hause zu kommen. Das hätte Tanja den Rest gegeben. Irgendwann hörte ich am Nebentisch ein interessantes Gespräch. Zwei aufgebrezelte Studentinnen tauschten sich mal nicht über Facebook und Sportlerpartys aus.
    »Hab`s mir einfach verschreiben lassen!«, sagte die eine und nahm einen großen Schluck von ihrem Milchkaffee.
    »Geht das denn so einfach?«, fragte die andere ungläubig und inspizierte ihre Fingernägel.
    »Du musst sagen, dass du dich noch nie so richtig konzentrieren konntest und dass du jetzt Angst hast, das Studium zu schmeißen.«
    »Und das reicht?«
    »Versuche es. Wenn du BAföG kriegst, dann geben sie es dir, weil sie ihr Geld ja wiederhaben wollen.«
    »Shit, nee, bekomme ich nicht!«
    »Dann sag, dass du keinen Sinn mehr im Leben siehst, wenn du abbrechen musst!«
    »Ich weiß nicht, ob ich das kann! Ich kann so nicht lügen. Ich hatte noch nie Bock auf Lernen.«
    »Ich auch nicht, aber du solltest es probieren. Das Zeug ist es wirklich wert. Jetzt kann ich stundenlang durcharbeiten und schaffe alles, was ich sonst nie auf die Reihe bekommen würde.«
    »Das wäre so schön«, flötete die andere.
    Dann wechselten sie das Thema und sprachen über irgendein Topmodel, das ihnen nicht gefiel. Ich wusste sofort, wovon sie gesprochen hatten. Nun, das konnte eine Lösung sein und ich fing an, sie mir durch den Kopf gehen zu lassen, falls es mit Tanja nicht besser wurde. Der Tag kam schneller, als ich dachte.
    Als ich an einem sonnigen Spätsommertag nach Hause kam, passierte es. Tanja lag zitternd auf dem Küchenboden und starrte ins Leere. Embryohaltung.
    Sie hielt sich mit einer Hand den Bauch und mit der anderen klammerte sie sich fest an einen roten Füller, den sie zum Korrigieren verwendete. Geistesabwesend kaute sie auf der roten Kappe herum.
    Ich brachte sie sofort ins Krankenhaus und man diagnostizierte einen Nervenzusammenbruch und ein Magengeschwür.
    Von nun an würde ich Zuhause weiterarbeiten müssen, da mir der Arzt dringend empfahl, Tanja nicht aus den Augen zu lassen. Ich konnte natürlich nicht Nein sagen

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