Sandor Marai
zufrieden, ich habe mich am helllichten
Tag besoffen und schmeiße auf dem Markt mit Geld um mich.
Seine
Schritte waren unsicher. Viele Leute blickten ihm bereits nach. Ich muß
aufpassen, dachte er, anscheinend bin ich es noch nicht gewohnt und mir wird
leicht schwindlig. Er drückte die Brust heraus, und weil er von allen Seiten
nicht gerade feindselige, doch
fremde und beunruhigende Blicke spürte, ging er mit künstlich verlangsamten
Schritten und in würdiger Haltung weiter und senkte den Kopf, damit die
Entgegenkommenden sein Lächeln nicht sahen.
Zu dieser
kühleren Stunde wurde die Stadt langsam lebendig. Die Temperatur fiel
plötzlich, als hätte sich Dunst, lauwarmer Nebel niedergesenkt, Askenasi spürte
einen Niederschlag von kaltem Schweiß auf Hand und Stirn. In den oberen Stockwerken
wurden der Reihe nach die Fensterläden geöffnet, und die Händler zogen die
Rolläden hoch. Auf dem Hauptplatz zeigten sich Spaziergänger, Paare strebten
dem Osttor zu, und von der Kaffeehausterrasse her drangen die Takte eines
Wiener Walzers.
Er ging der
Musik entgegen. Vor dem Reisebüro blieb er stehen, dunkel erinnerte er sich,
daß er hier noch vor kurzem eine Schlafwagenkarte lösen wollte, um nach Paris
zurückzufahren, Eliz zu suchen und mit ihr zu leben, mit der »einzigen Frau«,
die für ihn das Leben bedeutete. Ärgerlich, mit gerunzelter Stirn betrachtete
er die Angebote des Reisebüros, als hätte man ihn taktlos, ohne Zartgefühl in
der ersten glücklichen Stunde seines Lebens gestört. Nein, Gott sei Dank
brauche ich nicht mehr zu reisen, entschied er mit triumphierender Genugtuung.
Reisen, sich mit Dienstmännern herumschlagen, sich in schmutzigen, rußig-klebrigen
Eisenbahntoiletten die Hände waschen, ankommen, telephonieren, bei Eliz von
neuem den beschwerlichen
und komplizierten Dienst des »Glücks« aufnehmen, sich ums Geldverdienen kümmern,
Vorlesungen halten, mit fremden, berühmten und vornehmen Menschen sprechen –
all das, was mühsam und überflüssig war und ihn ständig vom »Glück« oder von
der »Befriedigung« abhielt, von diesem unbestimmbaren Gemütszustand, dessen
süßes Kribbeln er »seitdem« beständig spürte, warf er mit einer einzigen
gewaltigen Bewegung für immer von sich.
Ich bin nie
gerne gereist, dachte er zufrieden. Ich langweile mich dabei, und die Eisenbahn
ermüdet mich. Im Grunde habe ich mich nie irgendwo wohl gefühlt. Jetzt fühle
ich mich wohl. Er rieb sich die Hände. Jetzt muß ich nie wieder reisen. Und er
betrachtete die Offerten, die ihn nach Schottland oder Afrika locken wollten,
mit höhnischen, überlegenen Blicken. Jetzt muß ich nur noch leben. Und er ging
auf das Kaffeehaus zu.
Er wollte
die Musik aus der Nähe hören und das Meer betrachten – und die beiden Reize,
die Anziehungskraft der Musik und des Meeres, empfand er nun als einen
einzigen Reiz. Solange sie mich leben lassen, dachte er und beschleunigte seine
Schritte. Er wußte, daß er nicht allzuviel Zeit hatte, bald würde er gezwungen
sein, peinliche und unbequeme Befragungen zu erdulden, man würde ihn stören,
ständig seine Bewegungsfreiheit einschränken und am Ende vielleicht gar töten.
Diese Möglichkeit überraschte ihn zutiefst. Natürlich, das ist in solchen
Fällen üblich ... Er blickte nachdenklich um
sich. Wenn einmal jemand Befriedigung erlangt ... die Gesellschaft wehrt sich.
Er nahm auf
der Terrasse des Cafés Platz, zerstreut suchte sein Blick das Meer, doch
Menschen versperrten die Sicht. Paare kamen und gingen, neigten sich über dem
Tisch einander zu, steckten die Köpfe zusammen. Na, so einfach ist das nicht,
dachte Askenasi heiter und überlegen und betrachtete die Paare, die sich in die
Augen blickten und bei den Händen hielten, mit fast spöttischem Wohlwollen,
mit dem Wohlwollen und der Überlegenheit des Eingeweihten. So einfach ist das
nicht, Kinderchen. Das wäre zu schön, wenn das Glück so billig zu haben wäre –
Blicke und Worte und Streicheln, der Kuß, und was ihr dann im Bett macht, immer
nur halb, immer im letzten Moment zurückschreckend ...
Jetzt
verstand er auf einmal. Er gab dem Kellner einen Wink, irgend etwas zu bringen,
keine Störung jetzt.
Der Mensch
wird nicht durch das Gute erlöst, dachte er mit größter Mühe, jedes einzelne
Wort mußte er mit Gewalt aus der Menge der Wörter reißen, an der es klebte,
verklumpt in diesem uralten Stoff, der Sprache, jedes Wort war voller
Beziehungen, die wie Parasiten an seinem ursprünglichen
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