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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Fremde
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Sinn, seiner
Lebenskraft saugten. Jetzt mußte er jedes einzelne Wort säubern, von den
anderen trennen, desinfizieren.
    Der Mensch
wird nicht durch das Gute erlöst, wiederholte er sehr langsam, sondern durch
die Sünde. Er
holte sein Notizbuch hervor und schrieb die Worte mit rundlichen
Schülerbuchstaben – nicht mit jener kurzschriftartigen, zeichenhaften Schrift,
deren er sich sonst bediente – und äußerster Sorgfalt hinein. Er steckte das
Notizbuch in die Innentasche seines Jacketts, die er sorgfältig zuknöpfte, als
gälte es etwas sehr Wertvolles vor Diebstahl zu schützen. Ich könnte es
vergessen, dachte er, doch das hielt er nicht für wahrscheinlich und fügte
seine Rechtfertigung hinzu: Sie bringen mich vielleicht um, oder ich werde
eines Tages verrückt. Auf alle Fälle beruhigte es ihn, daß die Aufzeichnung
erhalten blieb, was auch immer mit ihm geschah.
    Der Kellner
stellte ihm ein Erfrischungsgetränk hin, Askenasi schob es ärgerlich beiseite.
Das künstliche Getränk, dieser Ausdruck ging ihm durch den Kopf. Harmlos, doch
es gehört zu der anderen Welt, zur Welt der Reisen, der Übereinkünfte, der
Cocktailparties und Dampfturbinen, zu Eliz’ Welt, und die brauche ich nicht,
entschied er. Er spürte einen merkwürdigen Zwang, während der kurzen Zeit, die
noch ihm gehörte, nichts zu berühren, was ein Produkt »der anderen Welt« war –
und er steckte zimperlich die Hände in die Taschen.
    Ob diese
»kurze Zeit« noch ein Moment war oder einige Tage, interessierte ihn nicht
besonders – wie im Traum verfügte er jetzt nach Belieben über die Zeit, wenn er
es unbedingt wollte und es Eile hatte, konnte er in einem einzigen Augenblick
das ganze Leben durchlaufen – so dachte er. Doch er glaubte gar nicht,
daß diese Sache mit dem »Geständnis« und mit der Gesellschaft, die sich zur
Wehr setzte, so besonders eilig war. Er bemühte sich, das Geschehene aus ihrem
Blickwinkel zu untersuchen – ein Polizist stand in der Mitte des Platzes,
nicht weit entfernt, auf dem Kopf einen weißen Tropenhelm, jeden Moment konnte
er ihm winken – und stellte beruhigt fest, daß sie ihm wirklich nur mit böser
Absicht etwas anhängen konnten.
    Vielleicht
ein Richter, der an allem etwas auszusetzen hat, dachte er. Das ist jetzt aber
wirklich Privatsache. Sie können ihre Nase doch nicht in jede Liebelei stecken.
Zwischen Mann und Frau, mein Gott ... was für komplizierte Fälle! Aber nein,
das kann man nicht so auffassen. Keinen Moment lang dachte er daran, es zu
verheimlichen, wenn er gefragt würde – sie würden taktlose und plumpe Fragen
stellen, er nahm an, daß man ihn in weniger barbarischer Umgebung, zum Beispiel
in England oder China, wo die Menschen das Privatleben und vor allem den
privaten Charakter der Beziehung zwischen Mann und Frau noch respektierten,
niemals wegen einer solchen Lappalie belästigen würde. Unwahrscheinlich, daß
sich der Disziplinierungsapparat der Gesellschaft jedesmal in Gang setzte,
wenn ein Mann und eine Frau sich in die Quere kamen ... Dazu würde es einer
gigantischen Organisation bedürfen, die Gerichte kämen mit der Arbeit nicht
nach ... Nein, das ist nun wirklich Privatsache, entschied er. Die Umstände
kann die Gesellschaft vielleicht kritisieren,
aber die Tatsache selbst, die geht niemanden etwas an.
    Zufrieden
ließ er den Blick schweifen. Die Paare hielten sich immer noch bei den Händen,
Augen begegneten sich in einem Lächeln, Schultern schmiegten sich aneinander.
Das ist nur Konversation, dachte Askenasi, nur Oberfläche. Auch ich bin
achtundvierzig Jahre an der Oberfläche geblieben. Ich habe geglaubt, daß man
mit Küssen, Liebe und Umarmungen irgend etwas bewerkstelligen kann. Aber wo das
nun einmal nicht möglich ist ... Und er seufzte sorgenvoll. Ob wohl viele bis dahin gelangen? dachte er unruhig. Wahrscheinlich nicht – die Menschen begnügten
sich mit der Oberfläche, mit den Sinnbildern und Hinweisen, die sie ohne Gefahr
voneinander bekamen, mit einem Vorgeschmack, und blieben zeitlebens durstig.
    Eine Frage
des Temperaments, dachte er weiter, war jedoch gleich empört, weil er diese
Einschätzung als frivol empfand. Nein, auf keinen Fall eine Frage des
Temperaments, sondern eine von Leben und Tod, einfach die Antwort auf die
Frage, ob es Befriedigung gibt, das heißt, ob das Leiden einen Sinn hat. Ich
habe wirklich alles versucht, rechtfertigte er sich. Sogar meine Träume habe
ich Anna erzählt, auch solche grauenvollen wie den mit dem

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