Sandor Marai
des
Glücks, vorsichtig und in kleinen Schlucken ... Ihr bleibt ja doch durstig,
meine Lieben. So billig ist die Befriedigung nicht zu
haben ... Niemand gibt etwas, und alle wollen nur bekommen ... Das wäre nicht
schlecht! Er lachte zufrieden auf. Sie gehen heim, zünden die Lampe an und
löschen sie wieder, legen sich ins weiche Bett, umarmen einander, und dann
erwarten sie das Wunder ... Was nicht noch alles!
Mehr und
mehr hielt er es für wahrscheinlich, daß die Gesellschaft an seiner Vorgehensweise
keinen Anstoß nehmen konnte – vielleicht hatte man für so etwas auf der Polizei
eine Geldbuße zu zahlen, ein paar Francs oder ein, zwei Tage Arrest, wie wenn
man den Rasen betreten oder mit dem Auto ein Huhn überfahren hat. Unmöglich,
daß sie es nicht verstehen, dachte er zuversichtlich, wo doch jede Bewegung
eine Anleitung dazu ist ... Dieses Argument mußte auch ein voreingenommener
Richter respektieren. Wenn sie ein »Beweisverfahren« forderten, na mein Gott,
sie sollten sich mal auf die Beine machen und sich das ansehen, egal wo und bei
wem, wenn zwei Menschen, Mann und Frau, sich in die Quere kommen! Konnte man
denn die Bewegungen der Liebe mißverstehen? Was ist diese Aggression, diese
Rebellion der Körper anderes als eine Abrechnung und eine Forderung? So werden
Diebe auf der Straße gelyncht, wie der Liebende mit seinem Opfer umgeht ... Und
auch die Worte selbst, mit welchen er seine Absicht zu verstehen gibt, die
Worte der »Liebe«, sind alle Aggression, Beleidigung, Feindseligkeit!
Er dachte
daran, daß auch er, wie so viele vor ihm, bereits »davor« bis an die Grenze
gelangt war – seine
Hände streichelten den Hals der Frau, er flüsterte sinnlose Worte, seine Lippen
nahmen die anderen Lippen ins Verhör – doch dieser Taumel, dieses Reißen,
dieser große Schwung, der den Menschen auf die andere Seite hinüberbefördert,
blieb schließlich immer aus – im letzten Moment schreckte er zurück und
begnügte sich mit der »Lust«, dem »Vergnügen«. Er dachte an die Abermillionen
von Liebespaaren, Generationen, die einander Tag und Nacht ausfragten,
verzweifelt und verbittert, viele griffen zur Peitsche oder verließen die Frau
und flohen zum eigenen Geschlecht, streiften zwischen immer neuen Rendezvous
ziellos umher wie Geisteskranke. Sie müssen furchtbar müde sein, dachte er
mit tiefer Anteilnahme. Die meisten von ihnen ermüden so sehr, daß sie daran
sterben ... Deswegen können sie ihn wirklich nicht bestrafen;
vielleicht werden sie ihn sogar belohnen, vielleicht feiern, und das Leben wird
auf einmal anders, Regierungen danken ab, und die Nationalitätenfrage ist als
gelöst zu betrachten, wenn sie es erfahren – dieser Gedanke blitzte nur kurz
auf, doch er faßte sofort den Entschluß, auf jede Belohnung zu verzichten und
sich allen Feiern zu entziehen. Bescheiden, die Augen niedergeschlagen, sah er
vor sich hin, als wäre der Moment, da er sich den Ehrungen verweigerte, schon
gekommen.
Ich habe
immer gehofft, daß ich es nicht tun muß, dachte er traurig. Was ich nicht alles
versucht habe! Ich habe viel gelesen, und einmal habe ich es sogar mit einem
Mann versucht ... In allen Einzelheiten sah er die
lächerliche Szene vor sich, er hatte vor vielen Jahren offiziell in Berlin zu
tun gehabt; am Abend, in einem Nachtlokal von zweifelhaftem Ruf, sprach ihn
eine junge Frau an, ein blondes Mädchen in grüner Seide; mit ihren weichen,
schlanken Händen drückte sie unter dem Tisch krampfhaft seine Hand und flehte,
sie mögen doch zusammen gehen. Er wußte nicht mit Sicherheit, ob sie ein
Zwitter war oder überhaupt keine Sie. Als er zahlte und mit dem »Mädchen«
eingehakt das verdächtige Lokal verließ, spürte er den gleichen Schwindel wie
manchmal im kritischen Moment der Liebesszene – vielleicht ist dies der Weg,
jetzt nur noch ein Wort, eine Bewegung, und die heiße Welle fegt ihn an irgendein
fröhlicheres Ufer ... Nach dem gedämpften Licht des Tanzlokals und dem
Halbdunkel des Taxis verriet das »Mädchen« in der grellen Helligkeit des
Hotelzimmers sein Geheimnis, es entkleidete sich langsam mit weiblichen
Bewegungen, und die Seidendessous enthüllten einen kostümierten arbeitslosen
Schlosserlehrling. Askenasi betrachtete ihn gleichgültig, er empfand keinen
Ekel, aber auch keine besondere Anziehung; die Szene war für ihn traurig und
lächerlich, und er entließ den brotlosen Handwerker mit einigen schonenden
Worten und gab ihm noch Geld.
Auch das
war nur ein Weg, ein
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