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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Fremde
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gelesen ... Er schüttelte den Kopf. Nun konnte er sich keine Minute mehr
langweilen, die verbleibenden Tage seines Lebens würden mit all dem
Sehenswerten vollkommen ausgefüllt sein, dieser ungeheure Stoff, der ihm vom
heutigen Tag an zur Verfügung stand, ließ sich vielleicht gar nicht
überblicken ... Er kam nur langsam vorwärts, die Menge des Neuen, das es zu
sehen gab, ließ ihn jeden Moment innehalten. Bis jetzt konnte mir nur in Museen
etwas auf diese Art auffallen, dachte er. Eine Ratte kroch hinter einem
Regenrohr hervor und verschwand flugs im Spalt eines Kellerfensters. Askenasi
hatte noch nie eine Ratte aus solcher Nähe gesehen und schrie vor Freude auf.
Er wußte bereits, daß es noch sehr viel zu tun gab, er mußte die Welt zur
Kenntnis nehmen, die er in ihrer Wirklichkeit nicht kannte, eher nur vom
Hörensagen, wie ein Blinder etwas von den Farben und den Formen der Dinge
erfahren kann. Die Wirklichkeit war viel einfacher und dabei üppiger und
prächtiger, als er es sich in seinem Dunkel hatte vorstellen können. Benommen und
taumelnd erreichte er den Markt.
    Er
schlenderte zwischen den Zelten, zwischen Obst und Fischen, Tierleichen; hin
und wieder veranlaßte ihn ein unbekannter Geruch, stehenzubleiben und ihm
schnuppernd zu folgen, bis er seinen Ursprung fand, irgendein Gemüse oder einen
Fisch, den er noch nie gesehen hatte. Das Mittagessen wurde hereingebracht, die
Teller wurden abgeräumt, dachte er. Bis jetzt habe ich mich damit zufriedengegeben.
Aber auch das ist jetzt nicht mehr so einfach. Er beugte sich über die Körper
von Meerestieren und starrte, ohne sich um die Aufforderungen des Verkäufers zu
kümmern, in das offene, glasige Auge eines toten Tintenfischs, in dem sich die
Helligkeit des Himmels und Askenasis Gesicht widerspiegelte. Wie nett von ihm,
dachte er fast gerührt, er bewahrt mein
Gesicht für einen Augenblick in diesem winzigen toten Spiegel ... wirklich nett
von ihm. Er hatte das Gefühl, nicht mehr völlig allein zu sein, tote
Tintenfische gaben noch Zeichen, wenn er sich über sie beugte, Pflanzen lockten
ihn mit ihrem Duft, er war von einer Sphäre der Verwandtschaft und Bekanntheit
umgeben.
    Ich war
schon entsetzlich weit entfernt, dachte er unruhig. Es war wirklich höchste
Zeit ... Am Rand des Gemüsemarktes wurden an einigen Ständen Rosen und Jasmin
verkauft, dazu große, zarte Mimosenzweige. Bloß vorsichtig, dachte er, als
könnte er nicht Maß halten und müßte in Unkenntnis der Wirkung dieser
außergewöhnlichen Betäubungsmittel aufpassen, nicht gleich betrunken zu
werden, einige Schlucke von diesen starken Gerüchen, und er begänne zu taumeln
und ein Lied zu schmettern.
    Eliz fiel
ihm ein, die innerhalb weniger Augenblicke benebelt sein konnte, sie jubelte
und jauchzte mit allen Anzeichen der Trunkenheit, noch bevor sie das Glas
anrührte, das man ihr hingestellt hatte. Der Rausch ist eher eine Fähigkeit als
eine Folge ..., dachte er ernsthaft, als hätte er endlich ein sehr einfaches
Geheimnis verstanden. Eine Fähigkeit, so wie das Talent zum Gesang. Man erfährt
eines Tages, ziemlich spät, daß man eine Stimme hat, und beginnt wunderschön zu
singen ... Eines Tages bemerkt man, daß man Talent zum Rausch hat ...
Aufmerksam ging er um die Blumenvasen herum, Abstand haltend und vorsichtig,
als wüßte er noch nicht,
wieviel er vertrug und welche Wirkung diese äußerst starken Reize auf ihn
ausüben würden. Er kaufte eine buttergelbe fleischige Birne und biß an Ort und
Stelle hinein; der Saft der Frucht rann ihm das Kinn hinunter und besudelte
seine Kleidung. Langsam schlürfte er die duftende und geschmackvolle Substanz
und spürte eine körperliche Wonne, die er bis dahin nicht gekannt hatte.
    So viel
Freude auf einmal ..., dachte er dankbar und warf den Butzen der Birne fort,
wischte sich mit der Hand den Saft vom Gesicht und erwiderte lachend den
erstaunten, fragenden Blick des Verkäufers, der nicht ganz verstand, was mit
dem vornehmen Herrn geschehen war, warum ihn eine Birne in derart heitere
Stimmung versetzte und er mitten auf dem Markt zu schmausen begann. Er raffte
alles Kleingeld aus seiner Tasche und reichte es dem Verkäufer, der zögernd
danach griff und die unübliche Summe ratlos anstarrte. »Eine ausgezeichnete
Birne«, wiederholte Askenasi mehrmals laut und begeistert, bis der Verkäufer
endlich verstand, grinste und das Geld in seiner Tasche verschwinden ließ. Er
glaubt, ich bin betrunken, dachte Askenasi

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