Sandor Marai
meiner.«
Plötzlich
durchschüttelte ihn etwas. Er stand auf, klopfte sich den Staub von der Hose,
richtete sich auf und warf etwas theatralisch den Kopf zurück. »Wir müssen
einmal miteinander reden« , sagte er,
keck, laut, herausfordernd. Er blickte starr und trotzig in das Dunkel hinter
dem Altar. »Der Ort ist ungeeignet. Hier trennt uns ...« Er stockte, dachte
darüber nach, was sie denn nun »trennte«. Er spürte nur das Hindernis, konnte
es jedoch nicht benennen. Nach einer Weile fiel es ihm ein: » Die Religion.
Die Religion trennt uns. Der Ort ist ungeeignet.« Fordernd sagte er, schrie
es fast: »Wir müssen dringend irgendwo miteinander reden.« Seine Worte
wurden als Echo zurückgeworfen. Deswegen dämpfte er seine Stimme, als er
vertraulich hinzufügte: »Ich habe nicht viel Zeit.« Er ging um den
Altar herum, eilig, auf der Suche nach einer Möglichkeit, wie es anzustellen
sei, daß »sie nichts trennte«.
Er trat zu
der halboffenen niedrigen Tür hinter dem Altar, aus der die laue Helligkeit des
Nachmittags strömte; von der Schwelle sah er den Klostergarten, die Arkaden,
die zum Refektorium führten, und den runden Brunnen in der Mitte des Hofs. Um
die Marmorsäulen der Arkaden rankte sich Efeu, und aus dem winzigen Garten, der
den Brunnen als regelmäßiges Viereck umgab, stieg der Treibhausduft von
frisch begossener, lockerer Erde und tropischen Blumen. In jeder Furche des
üppigen, künstlich überfrachteten Gartens sprossen Blumen, und am Rand der
Beete wachten große Palmen und mannshohe Kakteen mit ihren Schwertern. Der
Garten war allseitig von den Mauern der Kirche und des Klosters umschlossen, in
den kleinen Zellenfenstern standen Blumen, und das graublaue Geviert des
Himmels überdeckte den Hof wolkenlos und starr wie ein Glasdach. Kein Mensch
war zu sehen. Er sog den starken Duft, die dunstige, würzige Luft gierig ein
und schüttelte mit höhnender Mißbilligung den Kopf, als hätte er die Mönche
unvermutet bei einer verbotenen Leidenschaft ertappt. Sieh mal einer an! Da
ist es natürlich nicht schwer, der Welt zu entsagen, wenn man dabei solche
Düfte inhaliert ... Oh, diese Asketen, dachte er und begann zu lachen.
Er glaubte,
daß alle Reize der Welt eine gemeinsame Quelle und ein gemeinsames Ziel
hatten. Wenn sich jemand die Ohren zuhält und zugleich mit weit offenen Augen
eine unzüchtige Szene betrachtet, sündigt er dann nicht? Wie raffiniert! Er
atmete die schwere, geradezu körperliche Ausdünstung der Erde und der
Pflanzen, schnupperte diesen tatsächlich sinnlichen Duft, den wollüstigen,
dunstigen Schweißgeruch der Pflanzen und schüttelte erneut den Kopf. Die
Stille des Gartens, die von den dicken Steinmauern eifersüchtig gehütet wurde,
erfüllte ihn mit Sehnsucht und Neid. Vielleicht habe ich mich doch geirrt,
dachte er erschreckt. Vielleicht gibt es auch diesen Frieden ... die Entsagung,
die Stille, die Befriedung. Schaudernd blickte er um sich. Was wird, wenn er
sich »geirrt« hatte? Wenn er doch nicht »im Recht« war, wenn er einfach nur
ungeduldig, oder, wofür es keine Entschuldigung gäbe, feig und gierig gewesen
war?
Er begann
die Arkaden entlangzugehen; Garten und Mauern waren unversehrt aus dem Mittelalter erhalten
geblieben, die dichte Stille umfing ihn, vom Geheimnis Hunderter Leben
durchtränkt, dem Geheimnis von Menschen, die nicht nach »Lösungen« strebten,
sondern sich einfach in bestehende Rahmen einfügten und es irgendwie ertrugen
... Heimweh, Neid, Entsetzen schwirrten ihm durch den Kopf. Er warf einen Blick
auf die Zellenfenster, die von der Welt nur einen Topf Duft und Farbe
einließen, sie starrten auf diese paar Quadratmeter zusammengedrängten Urwalds,
eher nur ein Symbol, so wie eine im Gebetbuch zusammengepreßte Blume, die an
die Flora des Universums erinnert.
Sie können
nicht recht haben, dachte er mit zäher Hoffnung. Sie sind einfach zu schwach
für die Welt, für das Handeln. Sie haben sich hinter den Mauern versteckt ...
wie dick diese Mauern sind ...! Er betrachtete die edle Wölbung der Bögen; wie
japanische Gärtner hatten die Mönche auf der winzigen Fläche mit Kies
bestreute Wege angelegt. Vier mit Löwenköpfen geschmückte Steinbänke standen in
den vier Ecken des »Gartens«, und Askenasi konnte gar nicht verstehen, aus
welchen Reserven die paar Brocken Erde zwischen den Steinen all die Lauben und
Blumenbeete, diese ganze angeheizte Fruchtbarkeit nährten. Auch die
Zellenfenster sahen eher ins Innere als in den
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