Sandor Marai
beobachteten. Es war beinahe,
als wollten sie sagen: Du bist Richter und daher Sachverständiger, sage du uns,
warum Ludwig und Adele nicht mitsammen leben können, sie lieben einander doch.
Christoph aber fühlte sich müde. Das war die übliche Frage, eine langweilige
Frage. Warum interessierte sich Emma so sehr dafür? Er betrachtete die
Schwester, und wieder kam es ihm in den Sinn, wie wenig er von ihr wußte. Ja,
sicher war sie schon lange von ihnen fortgegangen, darin irrte er wohl nicht,
aber sie ertrug das Leben großartig. Sie führte den Haushalt, erzog die Kinder,
und von Zeit zu Zeit kam sie zu ihnen und erkundigte sich, warum Ludwig und
Adele nicht miteinander leben konnten. Sie hatte eine staunenswerte
Gelassenheit. Man müßte diese Unempfindlichkeit von ihr lernen. Christoph
überlegte – vielleicht hatte sie eine Methode dafür wie die Fakire, die sich
auf glühende Kohlen legen ... Welche Übertreibung, wies er sich zurecht – wo
gab es da Glut? Und plötzlich sagte er: »Sie hätten es ertragen sollen.«
Er sagte es laut und deutlich wie
einer, der unklare, lose aneinandergereihte Gedanken endlich mit wenigen
schwungvollen Worten zusammenfaßt. Hertha blickte ihn lächelnd an, und
Brüderlein schwieg. Er sah sehr elegant aus in seiner Uniform, zierlich beinahe
– er ist so verschieden von meiner Art, dachte Christoph –, so anders. Ja, der Richter hatte wieder
einmal gesprochen, Adele und Ludwig wurden nicht freigesprochen, das Leben
war einfach hinzunehmen und zu ertragen. Hertha sah ihn zufrieden an und griff
nach seiner Hand. Er aber entzog sie ihr plötzlich.
9
Auf dem kleinen Tisch lag die
Abendzeitung zwischen leeren Tassen und Tellern. In ungewöhnlich großen
Lettern prangte das Wort »Krieg« in einer Schlagzeile. »Wo werden diese
merkwürdigen Buchstaben eigentlich gegossen?« fragte Christoph, als wollte er
vom Thema ablenken. »Vielleicht in derselben Werkstatt, in der man die
Kanonenkugeln gießt.« Er langte mit den Fingerspitzen nach dem Blatt, sehr
vorsichtig, als könnte er sich damit beschmutzen – aber seine Hand blieb in
der Luft hängen und fiel auf das Knie zurück.
Brüderlein faltete die Zeitung
auseinander und entzifferte die beunruhigende Nachricht. Über den Zaun fiel der
Schein einer Gaslampe der Basteipromenade. Am Nebentisch sprach man über den
Krieg. Man sprach schon sehr selbstverständlich darüber. Brüderlein aber warf
das Blatt beiseite, verschränkte die Arme und lehnte den Kopf an den Baumstamm.
In diesem Augenblick fühlte sich der Richter unaussprechlich innig zum jüngeren
Bruder hingezogen. Er hätte ihn gern beim
Arm genommen, um mit ihm zusammen fortzugehen. Wie knabenhaft doch eben diese
Kopfbewegung war, so vertraut und traurig-wohlerzogen wie damals, als er am
letzten Tag des Jahres zwischen ihnen ging, der Vater ihn an der Hand nahm und
er nicht wagte, das zu wünschen, was sein Herz begehrte. Christoph hatte das
Verlangen, ihn jetzt zu bitten, sich etwas zu wünschen. Jetzt war Brüderlein
groß und erwachsen, er hatte eine Uniform und zwei Sterne, auch er war der
Stolz seiner Vorgesetzten. Die Kömüves hatten im Leben immer ihren Mann gestanden.
Brüderlein war ein ausgezeichneter
Soldat – aber auch jetzt noch hatte er etwas Jungenhaftes an sich. Brüderlein
war weder martialisch noch fesch – der Richter betrachtete den Bruder genau –,
wie anders waren diese jungen Soldaten doch heute beschaffen, sie erinnerten
ein wenig an Ordensgeistliche. Sie lebten bescheiden und betrachteten die
Uniform nicht als Paradeanzug, sie ließen sich im Kaffeehaus nicht vom Zigeuner
vorspielen, tranken keinen Champagner und galoppierten nicht mehr aus Passion
über die Gräben. Sie saßen sehr lange in der Schulbank, legten jährlich eine
neue Prüfung ab, warteten mit der Aktenmappe in der Hand bei der
Straßenbahnhaltestelle, bescheiden und andächtig, als hätten sie ein Gelübde
abgelegt, als würden sie in einem besonders strengen Orden leben. Nie sprach
Brüderlein von sich. Ab und zu nur trafen sie
zusammen, Brüderlein kam auf Urlaub und bereitete sich auf eine neue Prüfung
vor, oder er hatte dienstlich in der Hauptstadt zu tun.
Ja, diese Soldaten waren anders
beschaffen als die, die Vater gekannt hatte. Was erwarteten sie vom Leben?
Brüderlein nahm an der Diskussion auch jetzt nicht teil, er spielte nicht den
Fachmann, klirrte nicht mit dem Säbel, versprach nicht, die ganze Welt zu
besiegen und auf weißem Roß in die Hauptstadt des
Weitere Kostenlose Bücher