Sandra und das Haus in den Hügeln
darf. Ich bin nicht volljährig und brauche die Einwilligung meiner Mutter“, fügte sie hinzu.
„Wenn du dich für uns entscheidest, bringt der Chef das in Ordnung. Wir haben überall Kolonien, in denen du untertauchen kannst“, versicherte Jutta-Judith, in der Meinung, Sandra darüber beruhigen zu müssen.
„Willst du nicht mehr nach Hause zurück?“ forschte Sandra.
Jutta-Judith, deren Gesicht blaß und ausgezehrt aussah, schüttelte heftig den Kopf. „Ich fühle mich hier geborgen. Nach draußen zieht mich nichts mehr. Dieser Streß im Beruf! Dieses ständige Sich-beweisen-Müssen, wie tüchtig man ist, wie wichtig es ist, ein Auto zu fahren, auf Partys zu glänzen und nach der neuesten Mode gekleidet zu sein, was mich im Grunde gar nicht interessiert. Hier brauche ich das nicht. Und das macht mich glücklich und froh. Hier sind alle arm. Unser Vermögen und alles, was wir einnehmen, gehört der Familie. Dafür erretten wir unsere Seelen, und das bedeutet uns mehr.“
Klingt eigentlich sehr vernünftig, was sie sagt, überlegte Sandra. Auch ihr mißfiel manches, was um sie herum geschah: der übertriebene Aufwand, den manche Leute trieben, der oft wahnwitzige Konkurrenzkampf, den man heute auch in den Schulklassen spürte, wo er sogar Freundschaften gefährdete, weil jeder jeden als Rivalen ansah. Und dann der Zwang, auch im Privatleben miteinander konkurrieren zu müssen: Besitzt du ein Mofa, bist du jemand. Nimmst du Reitunterricht, spielst du in einem Tennisclub, kannst du tolle Reisen machen, dann darfst du mitreden — wenn nicht, wirst du von manchen Leuten nur mitleidig angesehen.
Sandra war dafür nicht blind.
Doch als sie jetzt darüber nachdachte, stellte sie fest, daß es sie gar nicht belastete, einen aufwendigen Lebensstil nicht kopieren zu können — von einigen flüchtigen Anwandlungen von Selbstmitleid abgesehen, wenn sie gern etwas hübsches Neues gehabt hätte.
Vielleicht liegt es an einem Mangel an Selbstbewußtsein, wenn man sich von diesen Dingen beeindrucken und unterkriegen läßt, überlegte Sandra.
Sie sah keinen Sinn und keine wahre Hilfe darin, sich in eine Sekte zu flüchten, um damit Problemen auszuweichen, denen man sich besser stellen und die man zu überwinden suchen sollte. Sandra fand, daß man auch außerhalb einer Sektengemeinschaft seine Selbstverwirklichung finden konnte.
Joschi zum Beispiel war es ganz egal, was andere machten oder wie sie über ihn dachten. Als das Rauchen in ihrer Klasse in Mode gekommen war, da hatte er sich beharrlich geweigert, es auch nur zu versuchen. „Das bringt mir nichts“, war sein Kommentar, und er rührte keine Zigarette an, weil sie ihm nicht schmeckte, wie heftig die Freunde ihm deshalb auch zusetzten.
Ähnlich reagierte er, als es üblich wurde, auf ihren Partys Fruchtsäfte und Cola mit „harten Sachen“ zu mischen. „Ein Onkel von mir war schon dreimal auf Entzug. Er schafft es nicht, von dem Zeug loszukommen. Ich fange lieber erst gar nicht damit an“, erklärte er.
Die Freunde nannten ihn nur in der ersten Zeit „Spielverderber“ und „langweilige Type“. Dann ließen sie ihn in Ruhe.
Ebenso konsequent verhielt sich Joschi in vielen anderen Dingen. Seine berufstätigen Eltern versagten ihm selten einen Wunsch, er bekam auch ziemlich viel Taschengeld. Doch es lag ihm nichts daran, mit teuren Uhren oder Lederjacken anzugeben, oder sein Geld in Diskotheken auszugeben. Trotzdem war er kein Langweiler, er war lustig und kameradschaftlich; und die Klassengemeinschaft mochte ihn, weil er jedem half, der mit einer Arbeit nicht zurechtkam.
Sandra war im Grunde ihres Wesens weniger selbstbewußt. Sie war abhängiger vom Urteil ihrer Freunde und bereit, manches mitzumachen, nur weil die anderen sie dazu drängten. Glücklicherweise hielt Joschi sie meistens von größeren Dummheiten zurück.
Nein, dachte Sandra, Jutta-Judith und alle diese Mädchen und Jungen hier sind auf Verführer hereingefallen. Sie laufen vor dem Leben davon, anstatt sich ihm zu stellen. Sie verdrängen ihre Probleme und fliehen vor der Realität, anstatt dort Hilfe zu suchen, wo sie ihnen wirklich geboten wird — in ernstzunehmenden therapeutischen Gruppen, in sozialen, kommunalen und kirchlichen Hilfsorganisationen — bei verständnisvollen Menschen.
„Verstehst du mich nicht?“ fragte Jutta-Judith, als Sandra so lange schwieg.
„Ich versuche es“, erwiderte Sandra, weil sie im Augenblick nichts anderes zu sagen wußte.
„Wenn du erst
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