Sanft kommt der Tod
geplant.
Dann ging Eve Allikas eigenen Kalender durch. Verabredungen zu Einkaufsbummeln oder zum Mittagessen mit irgendwelchen Freundinnen, Termine im Schönheitssalon oder beim Friseur, Abendessen mit dem Ehemann, einige mit Mandanten oder Freunden, andere mit ihm allein.
Zu den Zeitpunkten der Morde hatte keiner von den beiden irgendeinen Termin gehabt.
Rayleens Terminkalender war ein echter Schock für Eve. Sie ging zweimal in der Woche zum Ballett und hatte dreimal in der Woche mit verschiedenen Kindern Sozialisierungs-Dates. Was das auch immer war, hatte sie allwöchentlich ein solches einstündiges Date auch mit ihrer Klassenkameradin Melodie. Wechselweise hier oder bei den Branchs.
Einmal in der Woche spielte Rayleen Fußball, jeden Samstagvormittag ging sie zu den sogenannten HirnJoggern sowie zweimal in der Woche zu einer Organisation mit Namen Von den Kids.
Neben diesen regelmäßigen Terminen gab es Einladungen zu Geburtstagspartys, Schulausflüge, Schulprojekte, Treffen der Theater-AG, Arzt-, Museums-und Bibliotheksbesuche, Kunstprojekte, Ausflüge mit der Familie.
Wie es aussah, hatte dieses Kind mehr als die Erwachsenen zu tun.
Kein Wunder, dass die Straffos ein Au-pair benötigten. Denn obwohl Allika keinen anderen Beruf ausübte, hatte sie den Titel der professionellen Mutter nur von Rayleens Geburt bis zum Tod des Sohns geführt.
Eve steckte die Terminkalender ein. Sie wollte sie sich noch genauer ansehen und all die Namen, Gruppen und Orte überprüfen, auf die sie darin gestoßen war.
Dann sah sie sich den kleinen Schreibtisch an. Das mit einem Monogramm versehene Briefpapier wies darauf hin, dass Allika einen Teil der Einladungen und der Dankschreiben handschriftlich verfasste. Huh. Außerdem gab es noch eine Sammlung nach Anlass sortierter Karten zu Geburtstagen - humorvoll, blumig, förmlich, kindlich - und Todesfällen, für allgemeine Glückwünsche und so weiter.
Leere Disketten, Memowürfel, ein Adressbuch sowie ein paar Zeitschriftenausschnitte zum Thema Innendekoration.
Auch auf Lissette Fosters Schreibtisch hatten solche Ausschnitte gelegen, erinnerte sich Eve. Hatten sich die Wege beider Frauen dieses gemeinsamen Interesses wegen vielleicht irgendwann einmal gekreuzt?
Sie machte sich eine Notiz, der Sache nachzugehen, obwohl sie ernste Zweifel daran hatte, dass Craig Fosters Witwe Vorhänge und anderen Schnickschnack in denselben Läden wie Allika kaufen ging.
Die Post, die Allika aufgehoben hatte, bestand aus hübschen Karten oder E-Mails irgendwelcher Freundinnen oder von ihrem Kind.
Es gab Geburtstagskarten und Genesungswünsche von Rayleen, alle waren selbst gemacht. So stilvoll und gekönnt hätte Eve so etwas niemals hinbekommen, musste sie sich eingestehen. Auf hübschem Papier und in schönen Farben, teils am Computer angefertigt und teils handgemalt.
SEI NICHT TRAURIG, MAMI!
bat eine der Karten in großen, sorgfältig gemalten Druckbuchstaben auf schwerem, pinkfarbenem Papier. Dazu gab es die Zeichnung eines Frauengesichts, auf dessen Wangen Tränen schimmerten.
Im Inneren der Karte lächelte die Frau. Sie schmiegte ihr Gesicht an das von einem kleinen Mädchen, über ihren Köpfen schimmerte ein bunter Regenbogen, am Rand des Blatts leuchteten Blumen und unter dem Bild stand:
ICH WERDE IMMER DA SEIN, UM DICH ZUM LÄCHELN ZU BRINGEN! ICH LIEBE DICH, DEINE RAYLEEN.
10. Januar 2.057 stand in Allikas Handschrift auf der Rückseite des Blatts.
Im Schrank entdeckte Eve ein paar Malsachen, einen Malerkittel sowie durchsichtige Kästen mit Glasmurmeln, Steinen, Perlen, Bändern, Seidenblumen. Hobbyartikel, nahm sie an, genauso ordentlich verwahrt wie alles andere in dem Raum.
Im obersten Regal, hinter den Kästen mit den Bastelsachen, stand eine mit herrlichem Stoff verzierte Schachtel mit einem juwelenbesetzten Verschluss.
Sie nahm sie herunter, klappte den Deckel auf.
Hier fand sie den toten Sohn.
Hier waren die Fotos von dem Säugling und dem kleinen Kind. Von einer strahlenden, schwangeren Allika, einer Frau, die mit verträumtem Blick einen in eine blaue Decke eingehüllten Neugeborenen in den Armen hielt. Von dem Baby mit der großen Schwester, dem Vater und so weiter und so fort.
Außerdem fand Eve ein Stück der blauen Decke, eine Strähne flaumig weichen Haars, einen kleinen Stoffhund sowie einen einzelnen kleinen Plastikstein.
Mavis und Leonardo hatten ihr und Roarke zu Weihnachten eine Erinnerungsschachtel geschenkt. Offenbar
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